Hier sind unsre Forderungen:
1. Umwandlung der Reichswehr in eine Volksmiliz. Entfernung aller überflüssigen und gegenrevolutionären Generale und Offiziere.
2. Entmilitarisierung der Schutzpolizei. Stützung des Herrn Abegg, ihres Referenten. Zwangspensionierung und Maßregelung aller unzuverlässigen Elemente, besonders in der Provinz.
3. Reformierung der Justiz – ganz besonders der Staatsanwaltschaften, die auf dem Disziplinarwege zu fassen sind. Rücksichtslose Säuberung der Justiz von allen monarchistischen Elementen.
4. Demokratisierung der Verwaltung. Durchgreifende Verfolgung jeder republikanischen Beschwerde. Entlassung aller Beamten, denen antirepublikanische Politik nachzuweisen ist, mit Entziehung der Pension. Aufhebung aller dem entgegenstehenden Vorschriften.
5. Stärkung des Reichs den Ländern gegenüber.
6. Völlige Umformung der Lehrkörper auf Schulen und Hochschulen. Sofortige Aufhebung aller Zwangsmaßregeln, auch der indirekten, die darauf abzielen, aus den ›körperlichen Leibesübungen‹ der Studenten eine neue Wehrpflicht zu machen.
7. Sofortige Amnestie für die politischen Häftlinge aller Art, soweit sie republikanisch sind. (Also nicht für Herrn v. Jagow.) Diese Forderung ist insbesondere für die Leute aus Niederschönenfeld zu erheben, von denen keiner, kein einziger, ein so viehisches Verbrechen auf dem Gewissen hat, wie es die Mordtaten an Erzberger oder Rathenau sind.
8. Aufhebung des § 360 des Reichs-Strafgesetzbuches, Ziffer 8. Diese Vorschrift stellt das unbefugte Tragen von Orden und Ehrenzeichen unter Strafe, ebenso die unbefugte Führung des Adelstitels. Dieser monarchistische Unfug verdient nicht, verboten zu werden – man muß ihm seinen Wert nehmen. Da der Adel heute nicht mehr verliehen wird, so hat diese schwer antirepublikanische Kaste einen größeren Wert als je zuvor: den Seltenheitswert. Diese Mätzchen der Monarchie müssen der allgemeinen Wertlosigkeit verfallen.
9. Vor allem aber: Aufklärung und Propagierung der neuen Ideen einer neuen Republik:[223]
Die Zerstörung der Preußen-Legende ist da an erster Stelle zu nennen. Abgesehen von der moralischen Vertiertheit vieler Vertreter dieses Systems muß eben das System in seinen Wurzeln angegriffen werden: klar und deutlich ist an Beispielen zu zeigen, wie da gearbeitet worden ist. Aus diesem Negativen entwickelt sich das Positive: aus Untertanen werden Bürger, aus Hände-an-die-Hosennaht-Maschinen Menschen, aus Kerls Männer. Unbequem für die frühern Herren – eiserne Notwendigkeit für den Bestand einer Republik.
Dies sind unsre Forderungen. Werden sie befolgt, haben wir ein neues, lebenskräftiges Land. Werden sie es nicht, haben wir in Wochen oder Monaten eine elende und von aller Welt verachtete Reichsverweserschaft.
Die letzte Rettung ist: Einigung der sozialistischen Parteien.
Als Walther Rathenau im Reichstag aufgebahrt lag, stand, still und zuckergußartig, Sein erhabener Großvater da. Ein heißer Streit war um ihn entbrannt: Sollte in dem Volkshaus der Republikaner dieses monarchistische Standbild entfernt werden oder nicht? Gefühle mußten geschont werden . . .
Man umkleidete es mit Lorbeerbäumen; es wurde verhüllt. So ist hier alles. Wir schlagen nichts nieder – wir verhüllen es.
Eine kleine, sadistisch-masochistische, in ihren funktionellen Lebensbeziehungen schwer psychopathische Minderheit terrorisiert das Land, das in weicher Wabbligkeit diese Qualen fast wollüstig duldet.
Bleiben die Republikaner wiederum in den Versammlungssälen und packen sie die ungetreuen Amtsdiener ihres eignen Landes nicht in den Büros, auf den Kasernenhöfen, in den Polizeiwachen, auf den Gerichten, in den Landratswohnungen, schlagen sie diese größenwahnsinnigen Recken, die von einer Welt geistig und militärisch krumm geprügelt worden sind, nicht zu Boden –: dann ist es mit dieser zufälligen Republik zu Ende.
· Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 13.07.1922, Nr. 28, S. 25.
http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1922/Die+zuf%C3%A4llige+Republik