Robert Kurz zum Gedenken

26.07.2012 - 13:00
26.07.2012 - 14:00

Heyho liebe Leute vom

Heyho liebe Leute vom FSK.

Vielen Dank für die tolle Sendung zum Gedenken an Robert Kurz, die insgesamt einen guten Grobüberblick in das Kurz'sche Werk gibt und mit persönlichen Anekdoten auch die Person Robert Kurz charakterisiert.
Etwas geärgert habe ich mich allerdings über einen Beitrag (ich glaube es war der Erste), der versuchte Kurz eine Relativierung des Holocaust unterzuschieben und abschließend unterstellte, dass er, wenigstens gegen Ende seines Schaffens, dann doch noch seine Kritik an der antideutschen Ideologie zurück genommen habe, indem er Israel seine vollste Solidarität bekundete.
Wenn ich mich nicht sehr irre, war diese Solidarität allerdings schon sehr viel früher ausdrücklicher Bestandteil der Kurzschen Theorie. Er hat schon in „Weltordnungskrieg“ von 2002 ganz eindeutig klar gestellt, dass der prekäre Frieden in Israel und die Bedrohung durch (teils religiös verblendete) AntisemitInnen eine große Gefahr für die Juden darstelle und Ausdruck krisenkapitalistischer Barbarei ist.
Es wurden von ihm auch vehement jene Linke kritisiert, die sich mit antisemitischen Arschlöchern solidarisieren, nur weil dies in ein krudes antiimperialistisches Weltbild passt. Eben jene antiimperialistische Ideologie wurde schon sehr früh Gegenstand seiner Kritik, genau wie die inhaltliche Nähe vieler traditioneller Linker zu strukturell antisemitischen Spinnereien und völkischem Denken, nicht nur im Zuge einer, von Kurz vehement bemängelten, „verkürzten Kapitalismuskritik“.
Ebenso falsch erscheint mir die Behauptung, Kurz habe den Holocaust relativiert. Wenn ich es richtig verstehe gibt es in der Antisemitismuskritik bei Kurz einen starken Bezug auf Moishe Postone, der, grob formuliert, einen Teil antisemitischer Ideologiebildung in der Identifikation von Juden mit Abstraktionen des Geldes, des Zinses, der „raffenden Arbeit“ (Nazijargon; Negativ-Pendant zur von Nazis idealisierten „schaffenden Arbeit“), etc. begründet sieht. Es wird in dem Text „die negative Fabrik Auschwitz“ von Robert Kurz ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Form antisemitischen Wahns auch in anderen Teilen der Welt wirksam war und schreckliche Resultate hervor rief (etwa der Antisemitismus in der Sowjetunion), aber die deutsche Spezifik darin bestand, dass sich hier diese brutal-dumme (Krisen)Ideologie mit völkischer Blut-und-Boden Ideologie und preußisch-militaristisch inspiriertem Gehorsam, sowie den Rationalisierungspotentialen fordistischer Produktion amalgamierte, was letztlich zum betriebswirtschaftlich geplanten Massenmord an den Juden führte. Die spezifisch deutsche Schuld und die Singularität des Holocaust wird dadurch mitnichten relativiert.
Basierend auf dieser Analyse ist es eine emanzipatorische Selbstverständlichkeit, jede Form des Antisemitismus vehement zu bekämpfen, was Kurz an vielen Stellen seines Werkes verdeutlichte und woraus sich auch letztlich seine Israelsolidarität speist.
Er hat es jedoch darüber hinaus auch als sehr wichtig empfunden den Holocaust nicht aus der bürgerlich-kapitalistischen Modernisierungsgeschichte heraus zu nehmen, sondern im Gegenteil klar zu stellen, dass in dieser irrationalen Gesellschaftsform jederzeit barbarische Ideologien und in letzter Konsequenz „das Lager“ oder andere „Schreckenshäuser der Arbeit“ lauern, die schon am Anfang der kapitalistischen Moderne für viel Leid verantwortlich waren.
Die Nationalsozialistische „Vernichtung durch Arbeit“ ist auch Teil der auf blinder Wertverwertung basierenden Gesellschaftsform und emanzipatorischen Absichten ist kein Gefallen getan, dies zu unterschlagen um damit den bürgerlich-demokratischen Kapitalismus als die „beste aller Welten“ zu retten.
Darin bestand letztlich auch der Kern der Kurz'schen Kritik an „den Antideutschen“. Nämlich, dass sich dort klare Tendenzen bemerkbar machten, sich auf die Seite „westlicher Zivilisation“ gegenüber der „östlichen Barbarei“ (und dahin projizierte „deutsche Zustände“) zu schlagen. Dass diese beiden angeblichen Polaritäten wesensmäßig miteinander vermittelt, qausi „zwei Seiten der selben Medaille“, sind, also zum selben Zusammenhang von kapitalistischer Globalisierung und dem krisenhaften Verfall des kapitalistischen Weltsystems gehören, wird bei diesem Denken ausgeblendet. Dementsprechend erscheint es immens wichtig, neben der Kritik an den krisenhaften Barbarisierungsprozessen und entsprechenden Ideologien, eben auch die dafür verantwortliche, global wirksame, bürgerlich-kapitalistische, negative Vergesellschaftung über den Wert zu kritisieren bzw. den wesensmäßigen Zusammenhang von „Zivilisation“ und „Barbarei“ zu thematisieren.
Die Kritik von Kurz an „den Antideutschen“ ist demnach hauptsächlich bezogen auf den pro-westlichen Standpunkt einiger „Antideutscher“, sowie ihre Affinität für die „bürgerliche Aufklärung“ und ihre mangelnde Bereitschaft sich kritisch mit dem „Subjekt der Moderne“, dem MWW (männlich-westlich-weiß), auseinander zu setzen. Eine Auseinandersetzung, die bei den, von Kurz als „Aufklärungsmännchen“ bezeichneten, „Antideutschen“ die eigene MWW-Identität in Frage stellt und, teils schmerzhafte Konfrontationen mit der eigenen Person erfordert.
In der Folge wurde diese Kritik meiner Meinung nach dadurch bestätigt, dass Teile der antideutschen Szene in den Schoß der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zurück gekehrt sind um doch noch ihr bürgerliches Glücksversprechen geltend zu machen. Die mühsam mitgeschleppte „Kapitalismuskritik“ verkam so immer mehr zur radikalen Pose und ist einem Pragmatismus gewichen, der sämtliche Hoffnungen auf Emanzipation über Bord geworfen hat.
Glücklicherweise haben auch viele sich als „antideutsch“ labelnde Personen diesen Blödsinn nicht mitgemacht und sind weiterhin wichtiger Teil linksradikaler Kritik. Deren Kritik an verkürzter Kapitalismuskritik, strukturellem Antisemitismus und vielen anderen linken Ideologien, ist übrigens, wie oben angedeutet, auch zentraler Bestandteil der Kurz'schen Gesellschaftskritik, wobei Kurz dies schon weit vorher thematisierte (und schon gar nicht erst seit 2009, wie im Radiobeitrag suggeriert) .
Insgesamt hatte es die wertabspaltungskritische Anti-Alles-Aktion von Robert Kurz nicht nötig, sich identitär zu verorten und das kleinere Übel zu akzeptieren. Seine Kritik zielte immer aufs Ganze und ließ keine Illusionen zu, dass es doch so etwas wie ein gutes Leben in den falschen Verhältnissen geben könnte (womit na klar nicht die individuelle Auseinandersetzung mit bekackten Ideologien und Verhaltensweisen gemeint ist). Ebenso wurde stets betont, dass eine revolutionäre Überwindung des warenproduzierenden Patriarchats nur mit einer revolutionären Theorie im Gepäck möglich ist.
Sein Tod hinterlässt eine große Lücke und ich bin mir sicher, dass er gerade in den Verwirrungen der nächsten Jahre ein wichtiges theoretisches Korrektiv für antikapitalistische Emanzipationsbewegungen (wenns die denn mal gäbe) gewesen wäre, das nun schmerzlich fehlt. Ich hoffe, die auf seinem Wirken basierende Gesellschaftskritik wird konsequent weiter entwickelt und ist in der Lage emanzipatorisch-kritisch in die krisenkapitalistische Gesamtscheisze zu intervenieren.

Beste Grüsze. Tiszl

Nachtrag: Nachdem ich mit einem der AutorInnen diskutiert und auch den fraglichen Teil der Sendung nachgehört habe, scheint mir eine Korrektur/Ergänzung nötig. Die von Günther Jacob gegenüber Robert Kurz unterstellte Relativierung von Auschwitz, war wohl hauptsächlich auf die Diskussion Anfang der 90er bezogen und ist eher als historischer Rückblick zu verstehen. Im Sinne von "So wurde das damals diskutiert" und weniger als aktueller Vorwurf. Da mir die damalige Diskussion aufgrund meiner späten Geburt unbekannt ist, kann ich dazu nur Folgendes mutmaßen:
Ich könnte mir vorstellen, dass die damaligen Positionen/Fraktionen jeweils "blinde Flecke" bzw. anders gelagerte Prioritäten in der jeweiligen Theoriebildung hatten. Platt formuliert lag für Robert Kurz wohl eher der Fokus auf einer abstakt-allgemeinen Formkritik, sowie der Krisentheorie und dementsprechend hatten vorerst Analysen zu Antisemitismus im Allgemeinen und neuem Nationalismus, Rassismus, etc. im wiedervereinigten Deutschland im Speziellen nicht so den hohen Stellenwert, wie bei einigen Linken der damaligen Zeit, die jedoch wiederum überhaupt nichts mit der Krisentheorie und häufig auch mit der wertkritischen Neuinterpretation anfangen konnten. So wurde sich dann gegenseitig vorgeworfen, dass die Einen keine Ahnung von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hätten, während die Anderen ignorant gegenüber Themen wie Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus, etc. seien.
Ich denke, dass ohne Formkritik keine kohärente Ideologiekritik formuliert werden kann und so selbst wieder Ideologie produziert wird. Die Ideologiekritik jedoch ausschließlich aus den abstakt-allgemeinen Formen abzuleiten erscheint mir ebenfalls etwas vereinfacht und hier könnte ich bspw. den gelegentlich artikulierten Vorwurf des "ökonomischen Reduktionismus" nachvollziehen. Es gibt jedenfalls noch weitere Faktoren (historische, religöse, sozialpsychologische, millieuspezifische, individuelle, etc.), die in der Analyse eine wichtige Rolle spielen, was ja auch spätestens mit der Weiterentwicklung der Wertkritik durch die Abspaltungstheorie berücksichtigt wurde. Auf dem heutigen Stand der wertkritischen Theorieentwicklung erscheinen die damaligen Vorwürfe als ungerechtfertigt, im damaligen Kontext können sie durchaus Sinn gemacht haben und für die Weiterentwicklung indirekt mitverantwortlich gewesen sein.

Was die Bemerkungen zu dem vermeintlichen Bruch bzw. der Selbstkorrektur von Robert Kurz anbelangt (der ja auch bspw. bei Quergelesen unterstellt wurde), so ist ggf. noch Folgendes zu ergänzen:
Scheinbar können sich manche (Post)Antideutsche nicht vorstellen, dass die in "Die antideutsche Ideologie" einerseits und in "Der Krieg gegen die Juden" sowie "Die Kindermörder von Gaza" andererseits vertretenen Positionen miteinander vereinbar sind, ja sogar logisch auseinander hervor gehen. Der unterstellte Bruch ist dann bestenfalls der Unkenntnis früherer Werke geschuldet. Es könnte aber auch sein, das da posthum versucht wird einen Meinungswechsel zu konstruieren um das für die "eigene Sache" zu instrumentalisieren. So nach dem Motto: "Früher hat er uns böse kritisiert aber gegen Ende haben wir Recht behalten".
Hinzu käme noch meine vage Vermutung, dass sich als antideutsch labelnde Personen Probleme mit der Vorstellung haben, dass ein Kritiker ihrer Ideologie/politischen Identität Positionen vertritt, von denen sie evtl. denken, dass sie ihr Alleinstellungsmerkmal seien. Aber um bspw. Antisemitismus, verkürzte Kapitalismuskritik und linke Regression zu kritisieren braucht es nicht unbedingt das Label "antideutsch". Das sollte, wie bereits erwähnt, auch jenseits identitärer Selbtverortung eine emanzipatorische Selbstverständlichkeit sein.

[Per Email ans FSK geschickt und in Absprache veröffentlicht.]

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