Uni-Radio goes Academic Hardcore

01: Aufklärung
oder: In den vergangenen Jahren haben sich für Uni-Radio neue Fragestellungen ergeben

Uni-Radio wurde während des Uni-Streiks 1991 gegründet und hatte in diesem Zusammenhang zunächst klar eingegrenzte Themenschwerpunkte: Auf der einen Seite wurde über die Wissenschaftspolitik des Hamburger Senats – z.B. über Einsparungen, Förderprogramme, einzelne Fachbereiche, Hochschul-Ranking etc. – berichtet, auf der anderen Seite stand die uni-interne Politik im Mittelpunkt der Sendungen – der AStA, die politischen Gruppierungen etc. Der Schwerpunkt lag insgesamt also auf Hochschul-Politik, während der Forschungsbetrieb eher vernachlässigt wurde. Nach einiger Zeit, entscheidend auch durch den Beitritt bei FSK, hat sich dieses eng gefaßte Interesse erweitert und verschoben; eine Vielzahl von Sendungen mit unterschiedlichen politischen Profilen und Zielsetzungen sind entstanden.

Im Zuge einer FSK-weiten Debatte darüber, die Radiogruppen als Orte für inhaltliche Diskussionen zu stärken, entspann sich der Gedanke, Uni-Radio neu zu überdenken und zu konzeptionieren: Auch auf Forschungsprojekte und Theorien, die an der Uni produziert werden oder produziert werden sollten, soll in Zukunft das Hauptaugenmerk gerichtet werden. Es geht darum, Wissenschaftskritik zu betreiben und in diesem Kontext gesellschaftliche Verhältnisse zu analysieren, zu kritisieren und politische Projekte zu durchdenken, zu planen und zu unterstützen: Bei Uni-Radio soll nicht nur über Diskurse berichtet werden, wir wollen aktiv und direkt an diesen Diskursen teilnehmen. Unser Interesse an Theorien und Wissenschaftskritik unterscheidet sich also auch insofern von den Anfängen von Uni-Radio: Während in den ersten Jahren viel Wert auf eine journalistische Professionalisierung gelegt wurde, geht unser Anliegen heute weg vom "Berichten über" in kurzgefaßten Magazinbeiträgen.

01. Gegenderte Wissenschaftskritik

Zentrales Anliegen ist also nicht nur die Kritik des Wissenschaftsbetriebes (so nötig er es auch hat), sondern vor allem auch die Kritik von Wissenschaft, wie sie betrieben wird überhaupt. Das fängt bei der Affirmation des Warenfetischismus nicht an und hört bei der Reproduktion von Zweigeschlechtlichkeit und Hetrosexualität nicht auf. Wissenschaft, wie sie uns immer wieder begegnet, soll daraufhin überprüft werden, wie und ob sie herrschende Vergesellschaftungsformen stabilisiert und reproduziert.

Das Hauptaugenmerk soll in diesem Zusammenhang auf der Analyse von Geschlechterverhältnissen, von Heteronormativität und den damit verbundenen Hierarchiestrukturen liegen. Neuere Theorien der Geschlechter- und Sexualitätenforschung stellen Methoden und Frage zur Verfügung, mit denen Forschungen und ihre Prämissen betrachtet werden. Zugleich sollen aber auch diese Theorien auf ihren systemstabilisierenden Charakter hin untersucht werden. Das heißt also nicht, daß es bei Uni-Radio/Academic Hardcore nur um Forschungsprojekte aus den Bereichen feministische Forschung, "gender studies", "queer studies" etc. gehen soll bzw. daß jedes Projekt das Geschlechterverhältnis zum Hauptgegenstand machen muß, das heißt aber schon, daß jedes Projekt und jede Diskussion auch auf den jeweiligen Umgang mit "gender" und "sexuality" hin befragt werden soll.

Die Kritik der zweigeschlechtlichen Verfaßtheit der Gesellschaft und die der Zwangsheterosexualität gehen dabei immer Hand in Hand und können ohne einander nur erneut in reproduzierenden Analysen landen.

02. radio, gender & sexuality

Das Radio ist in vieler Hinsicht ein Zauberkasten, der die Sprache abtrennt von der oder dem Sprechenden und sie losmacht von ihrer oder seiner Gegenwart. Die Stimmen werden aber kaum je wahrgenommen als 'jemand spricht', sondern es gibt immer 'die Sprecherin' oder 'den Sprecher'. Die Stimme ist geschlechtlich bestimmt, was wir hören, hängt auch davon ab, wen wir zu hören glauben, welche Bilder von Frauen oder Männern wir bereits im Kopf haben und ob das, was wir hören, zu diesen Bildern paßt oder nicht.

Wer spricht, verhält sich, kann andere unterbrechen und übertönen oder ständig 'mhm' sagen, kann drohen oder beschwichtigen, dozieren oder fragen, kann ernst und bedeutungsvoll sprechen oder albern kichern, kann eigene Gefühle ausdrücken oder die Geheimnisse der Astrophysik und des Dollarkurses erläutern. Die Hierarchie der Geschlechter kann also nicht nur in dem, was da gesagt wird, entweder in Frage gestellt oder fortgeschrieben und bestärkt werden, sondern auch in dem, wie es gesagt wird und wer was sagt. Darüber hinaus ist im Radio nicht nur ein bestimmtes Verhalten von Sprecherinnen und Sprechern zu hören und wird ein bestimmtes Verhältnis zwischen weiblichen und männlichen Stimmen produziert, hergestellt werden vielmehr auch diese Stimmen als weibliche und als männliche – die Frauen und Männer selbst sind es, die da für die Hörenden, aber auch für die, die im Studio sitzen und sprechen, produziert werden. Damit vermacht ist immer auch die Hierarchie der Geschlechter, die eben da produziert wird. Erst wenn, was Frauen sagen, nicht mehr nur oder in erster Linie als das Sprechen von Frauen wahrgenommen wird, erst wenn Frauen nicht mehr nur das Besondere repräsentieren, ist auch die herrschende Form abstrakter Allgemeinheit in Frage gestellt.

In diesem Sinne muß es Ziel des Freien Radios sein, diese Prozesse hörbar zu machen, zu analysieren und damit bewußt umzugehen, um letztlich die klassische Geschlechterdifferenz und ihre Hierarchieverhältnisse zu irritieren. Auch für unsere eigenen Sendungen müssen sich hieraus Konsequenzen ergeben: Denn während wir die Produktion von Geschlechterverhältnissen über die Stimme zwar theoretisieren, affirmieren wir sie dennoch in unseren Sendungen. Was für Geschlechterverhältnisse produzieren wir durch welche Sendungen? Was richten wir mit Stimmen an? Was richten Stimmen bei uns an? Was können wir mit Stimmen tun?

Während durch Stimmen und Sprechverhalten die Geschlechterdifferenz also hörbar wird (sich materialisiert) und somit sowohl der Reproduzierung der Geschlechterhierarchie dienen kann als auch durch Verschiebungen irritiert und verändert werden kann, ist die Dichotomie von Homo-/ Heterosexualität sowie ihre Brechung in Bisexualität zunächst weniger hörbar. Ebenso stumm scheint zunächst die Norm der Zweigeschlechtlichkeit und die von ihr verworfenen Existenzweisen der Trans- und Intersexualität. Die Thematisierung von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit scheint insofern vor allen Dingen auf die inhaltliche Ebene zu verweisen und auf diese verwiesen zu sein. Die Sendungen von Uni-Radio/Academic Hardcore sollen folglich die Naturalisierung der Normen in Frage stellen, indem sie z.B. die gegenseitige Abhängigkeit und Stabilisierung von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit aufzeigen. Die diskursiv verworfenen Kategorien und diskriminierten Existenzweisen wie Homo- und Bisexualität werden notwendig als verworfenen hervorgebracht wodurch Geschlechterhierarchie und der ganze andere Klumpatsch überhaupt erst in die Welt gesetzt werden. Insofern sollen sie sowohl gestärkt und auf ihre emanzipatorischen Potentiale betrachtet werden und wie auch auf ihre Eingebundenheit in diesem System befragt werden.

Lesbischsein als in der patriarchalen Geschlechterordnung doppelt verworfene Seinsweise muß also in ihren Erscheinungsformen zur Sprache gebracht, ihre Diskriminierung aufgezeigt werden, ohne die stabilisierende Funktion einer vielfach essentialisierten Kategorie 'Lesbe' für die Geschlechterordnung zu ignorieren. Die Widersprüchlichkeit zwischen Identitätspolitik und dekonstruktiver Kritik müssen problematisiert, nicht aufgelöst werden.

03. Sendungen und mehr als Sendungen. Zum Programm von Academic Hardcore

Ziele der Radiogruppe sind es also, die Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen und die Normativität von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als Ergebnisse gesellschaftlicher Zurichtungen transparent zu machen. Statt davon auszugehen, daß traditionelle geschlechtsspezifische Hierarchiestrukturen und Heterosexualität Effekte biologischer Unterschiede und damit quasi 'natürlich gegeben' seien, geht es in den "gender" und "queer studies" im Gegenteil darum, die Geschichtlichkeit und Veränderbarkeit der Geschlechterverhältnisse und der Konzepte von Sexualität zu zeigen – und konkrete Veränderungen auch zu fordern.

Es ist Programm der "gender theory", die Rigorosität der Zweigeschlechtlichkeit zu analysieren und in ihrem Entstehungsprozeß nachvollziehbar zu machen. Warum findet zum Beispiel die Bildung von Geschlechtsidentitäten immer nur im 'entweder Frau oder Mann' einen Ausdruck, statt beispielsweise ein gleitendes Mehr oder Weniger als Muster geschlechtlicher Identität zu akzeptieren? Warum werden mögliche Übergangsstadien negiert oder bestenfalls als Irrtum der Natur, als beunruhigende Entartung wahrgenommen?

Die Sendepraxis von Uni-Radio/Academic Hardcore ist dabei zunächst dem Emanzipationsgedanken verpflichtet, soll also auf die Stärkung und Gleichberechtigung gesellschaftlich benachteiligter und marginalisierter Gruppen und Personen hinwirken. Werden dabei einerseits Konzepte wie das des "female empowerment" verfolgt, so muß andererseits deren Eingebundenheit in das Bestehende problematisiert werden. Entsprechend orientiert sich Uni-Radio/Academic Hardcore auch an Ansätzen der Geschlechterirritation, an den Möglichkeiten "queerer" Politiken, die die normierenden Kräfte von Geschlechterkategorien und -identitäten allgemein fragwürdig machen. Dabei muß nach Allianzen mit gesellschaftlichen Gruppierungen gesucht werden, die auf anderen Ebenen die gesellschaftlichen Normen kritisieren und angreifen.

Letztlich geht es also darum, das gesellschaftliche Ganze in Frage zu stellen, die Mechanismen, die nicht nur Frauen als Frauen, sondern eben auch Männer produzieren (und das ist zwar die vergleichsweise komfortablere Position, aber eben auch eine Position in einem Zwangszusammenhang). Wir wollen also eine Kritik leisten, die sich nicht auf ein Feld und einen Gegenstand zurückzieht, sondern von jeder kritischen Haltung und Analyse einfordert, auch "gender" und seine vermaledeiten Konsequenzen zu betrachten. Das fordert von allen Beteiligten über den jeweiligen Tellerrand der Kritik herauszudenken. Und es macht das Denken in Haupt- und Nebenwidersprüchen nicht nur fragwürdig, sondern peinlich. Verschiedenen Herrschaftsaspekte sollen so miteinander verknüpft werden ohne in einen reinen Aufzählungszusammenhang gestellt zu werden. Jedes zu Kritisierende ist auf die Kritik des anderen verwiesen.

Uni-Radio/Academic Hardcore will als geschlechterübergreifende Radiogruppe mit Radio St. Paula die bestehenden feministischen Kräfte im FSK stärken und die feministische und "queere" Kritik im Radio etablieren helfen. Dazu sollen nicht nur Sendungen produziert werden, sondern auch Veranstaltungen organisiert und Reader erstellt sowie Kontakte zu anderen linken Gruppen und Zusammenhängen geknüpft oder gestärkt werden.

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