Zwei Stellungnahmen zum „NSU-Prozess“

I.: Presserklärung zur Verschiebung des Prozessauftaktes am OLG München; Vertretung der Nebenklage der Familie Kubasik

"Gegen 13:00 Uhr erfuhren wir aus den Medien von einer Verlegung des Prozessauftaktes vom 17.04.2013 auf den 06.05.2013. Ein entsprechendes Fax des OLG München ging hier um 13:38 Uhr ein.

Gamze Kubasik, die Tochter des ermordeten Mehmet Kubasik, empfindet die kurzfristige Verlegung wie einen Schlag ins Gesicht. Wochen und Monate war der Termin für sie und ihre Familie im Fokus, die Anspannung war bis zum Schluss mehr und mehr gestiegen. Endlich sollte nach über 7 Jahren nun mit der Klärung des Mordes ihres Vaters vor Gericht begonnen werden, zum einen eine Erleichterung, zum anderen eine unglaubliche psychische Anstrengung. Lange hatte sich die Familie auf den Prozessauftakt vorbereitet. Dabei waren auch erhebliche finanzielle und organisatorische Hürden zu nehmen. Das Gericht hatte zunächst mitten in einer Messewoche terminiert, Unterkünfte waren schwer bis nicht mehr in München zu finden, die Kostenübernahme für die Reise zunächst ungeklärt. Nach dem Einsatz und der Hilfe vieler Beteiligter und nicht unerheblichen Anstrengungen der Familie war nun trotz aller Widrigkeiten alles organisiert. Und nun keine 2 Tage vorher erfährt ihr Anwalt zunächt nur aus der Presse, dass der Prozessauftakt verschoben wird.

Nicht nur, dass damit die Belastungsgrenze der Familie endgültig überschritten ist. Frau Kubasik findet es auch besonders bezeichnend, dass das OLG es nicht für notwendig gehalten hat, vor dem medialen Echo zumindest die Betroffenen (und sei es telefonisch oder per e-mail) zu informieren. Das zeige, dass die Interessen der Hinterbliebenen und Verletzten offensichtlich durch das Gericht nicht ernst genommen werden.

Dabei ist die Begründung des Senats, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts würde zu einer Umterminierung zwingen, nicht nachvollziehbar. Denn wären entsprechende organisatorische Schritte nach der Entscheidung am vergangenen Freitag unverzüglich umgesetzt worden, hätte der Prozessauftakt dennoch stattfinden können.

Dabei war es die vom Bundesverfassungsgericht als wahrscheinlich verfassungswidrig bezeichnete ursprüngliche Akkreditierungsentscheidung des Gerichts von ausländischen Medien, die den Eilbeschluss aus Karlsruhe erst notwendig machte. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren entschieden, gerade damit eine Verschiebung des Prozessauftaktes nicht notwendig wird.
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Sebastian Scharmer, Rechtsanwalt

II.: Presseerklärung der Nebenklagevertretung der Familie Tasköprü

Am 17. April 2013 beginnt die Hauptverhandlung gegen Beate Zschäpe, André Emminger, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben und Carsten Schulze.
In den Medien wird dieser Prozess kurz zusammengefasst als der „NSU-Prozess“ oder „Prozess gegen die Verbrechen der NSU“.
Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass Beate Zschäpe Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung NSU vorgeworfen wird, wobei die weiteren Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewesen sein sollen. Bekanntlich sind diese inzwischen tot.
Emminger und Gerlach sollen den NSU unterstützt haben. Den weiteren Angeklagten werden einzelne Beihilfehandlungen zu einzelnen Taten, nicht aber die Unterstützung des NSU vorgeworfen. Diese rechtliche Würdigung kann sich ggf. durch eine Beweisaufnahme noch anders darstellen, momentan ist dies jedoch der Stand der Dinge.
Wir als Vertreter der Nebenkläger der Familie Tasköprü mahnen zu Beginn der Hauptverhandlung zu Genauigkeit! Es beginnt eine Strafverhandlung, die selbstverständlich nach den Grundsätzen der Strafprozessordnung statt zu finden hat. Es geht in dieser Verhandlung um die persönliche Schuld der Angeklagten - nicht mehr und nicht weniger. Dies ist schon viel, wenn man bedenkt, dass jahrelang die Falschen, nämlich die Familienangehörigen und enge Freunde, verdächtigt wurden.
Wir als Vertreter der Familie Tasköprü weisen darauf hin, dass der Strafprozess kein Untersuchungsausschuss ist! Der Strafprozess kann und wird nicht die gesellschaftspolitische Aufgabe, alle Verbrechen und Zusammenhänge der NSU aufzuklären, erfüllen. Dazu ist ein Strafprozess nicht gedacht, die Instrumentarien des Strafprozesses allein sind dafür auch nicht geeignet.
Wer für das Ende des Prozesses umfassende Aufklärung im Gerichtssaal durch die Beweisaufnahme erwartet, ist blauäugig. Wer die Aufklärungsarbeit nur in den Gerichtssaal schieben will, macht es sich zu einfach. Wer meint, dass mit einem Prozess gegen die fünf Angeklagten und einer möglichen Verurteilung, das Kapitel NSU ausreichend beleuchtet und die NSU ausreichend verfolgt wurde, denkt nicht weit genug und nach dem Sündenbockprinzip. Wir werden nicht aufhören nachzufragen, bis alle Verantwortlichkeiten geklärt sind. Sei es im Strafverfahren oder im anderen Kontext. Niemand darf sich durch eine mögliche Verurteilung der fünf Angeklagten rein waschen.
Für die strafrechtliche Feststellung, ob der NSU eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 129a StGB gewesen ist, ist es ausreichend, dass die Vereinigung aus drei Mitgliedern bestand. Das Gericht ist durch den Aufklärungsgrundsatz nicht gezwungen, sich per se mit möglichen weiteren Mitgliedern des NSU zu befassen. Nur wenn eine entsprechende Beweisaufnahme neue Anknüpfungstatsachen ergibt, müsste das Gericht diesen Hinweisen nachgehen. Wie das OLG München in einer solchen Situation reagieren wird, bleibt abzuwarten. Sofern die Hauptverhandlung diesbezüglich keine weiteren Erkenntnisse vermitteln kann, ist die weitere Aufklärung eine politische Aufgabe, die ernsthaft weiter betrieben werden muss.
Selbiges gilt für die strafrechtliche Beurteilung, ob Emminger und Gerlach Unterstützer des NSU gewesen sind. Ohne entsprechende Hinweise in der Hauptverhandlung wird das Gericht keine Informationen zu möglichen weiteren Vernetzungen mit dem NSU und weiteren Helfern ermitteln
Auch diese Umstände dann weiter aufzuklären bleibt eine politische Aufgabe.

Für die Familie Tasköprü ist es wichtig heraus zu finden, was geschehen ist, wer dafür die Verantwortung trägt und warum ausgerechnet ihr Angehöriger ermordet wurde. Daher ist es wichtig, dass die Tatbeteiligungen Einzelner aufgeklärt werden.

Natürlich treibt auch die Frage um, ob der Staat zu lange hingeschaut hat, die Taten hätte verhindern können, den NSU möglicherweise mit finanziert hat und ob es weitere Mitglieder des NSU oder weitere Helfer des NSU gegeben hat. Sie möchten selbstverständlich wissen, ob es weitere, bislang des NSU nicht zugerechnete Taten, wie z.B. Brandlegungen gegeben hat.

Für die Familie Tasköprü war die Anklageerhebung und Eröffnung des Strafverfahrens wichtig, weil damit schwarz auf weiß fest stand, wen die Ermittlungsbehörden für den Tod von Süleyman Tasköprü verantwortlich machen.
Sie wollen durch uns, ihre Anwälte, den Prozess genauestens beobachtet wissen und ihre Fragen im Prozess durch uns hineingetragen bekommen. Sie wissen aber, dass der Prozess nur ein kleiner Teil der Aufklärungsarbeit ist. Sie wissen, dass der Prozess die dringenden, weiteren Fragen vermutlich nicht aufhellen kann. Sie erhoffen sich natürlich, dass weitere Informationen und Details durch die Zeugenbefragungen vor dem Oberlandesgericht zu Tage treten. Sie wissen aber, dass mit einer möglichen Verurteilung der Angeklagten nicht alle Fragen beantwortet sein werden.

Dringend ist die Frage, warum Süleyman Tasköprü? Wurde er von seinen Mördern ausgesucht, so wie die Ermittlungsbehörden glauben, weil sein Laden in der Nähe einer Autobahnauffahrt war? Oder gab es vielleicht doch ein Helfer in der Schützenstraße in Hamburg? War der vielleicht sogar den Ermittlungsbehörden bekannt?
Wir werden die politische Verantwortung, die wir mit diesem Mandat angenommen haben, auch neben dem Prozess weiterverfolgen und rufen alle gesellschaftlichen Kräfte dazu auf, die Fragen, die sich in dem Strafprozess nicht aufklären lassen können, nicht zu verdrängen, sondern an anderer, geeigneter Stelle weiter zu verfolgen.

Die Nebenklagevertretung der Familie Tasköprü
Rechtsanwältin Angela Wierig
Rechtsanwältin Gül Pinar
Rechtsanwalt Philipp Götze
Rechtsanwalt Andreas Thiel

Ob es mit der Verurteilung

Ob es mit der Verurteilung der NSU wirklicht getan ist, ich wage es zu bezweifeln. Zschäpe und Co. werden wohl eher den Sündenbock spielen, auch wenn sie die Hauptschuld tragen. Bis die ganzen Hintermänner, Mitglieder und geheime Mitglieder gefasst sind, dürfte noch Einiges an Arbeit zu erledigen sein.

Dass der Termin verschoben wurde, kann ich auch nicht verstehen. Für mich ist der Grund nicht ersichtlich. Es gibt wohl einfach keinen.

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