Helene Manos ist gestorben

Mit dem letzten Jahr starb eine alte Frau, zäh wie Leder, vielen, die sie kannten, als oft nervig und manchmal gerne etwas obsessiv in Erinnerung, politisch alte (kritische) Schule.

Was kaum jemand wissen dürfte: sie war (unter vielem anderem) auch eine der wichtigsten Personen, vielleicht die wichtigste, am Anfangspunkt der lange anhaltenden Bemühungen, die irgendwann dann doch im FSK fruchteten: Helene Manos, Kommunistin (von der eher anarchistischen Sorte), Soziologin, Sanktpaulianerin, gestorben im Dezember 2012 ein paar Tage vor ihrem fünfundsiebzigsten, die aber mehr weggeschuftet und weggekämpft hat als die meisten von uns in zweihunderfünfundsiebzig schaffen würden, wenn überhaupt. St. Pauli bedeutete ihr (und ich darf mal sagen, uns allen, die damals, so um 1988/9, mit der Radio St. Pauli Kampagne anfingen) der proletarische und migrantische Hafenbezirk (das grosse, Pauli und Piräus und vielleicht noch andere Hafenorte vergleichende Projekt hat sie dann doch nicht mehr geschafft); mit Popkultur hatte sie es nicht so.

Ich glaube, ich habe Helene auf einem Stadtteilplenum kennengelernt, das um die Flora ging (als 1000 Töpfe dichtmachten), noch vor der ersten Besetzung, wo Helene die Idee eines Stadteilkulturzentrums starkmachte, das zwischen proletarischen, kleinbürgerlichen und studentischen Milieus im Stadtteil vermitteln sollte. (Sie hatte zum Beispiel damals auch die Idee, ein Begrüssungsfest für die ‚Aussiedler‘ aus der SU, die so um 1988 im Montblancgebäude untergebracht waren, zu organisieren; das Stadtteilplenum stand dieser Idee eher verständnislos gegenüber.) Helene hatte ihr eigenes one-woman Forschungsinstitut, das der Stadtteilforschung auf St. Pauli gewidmet war (es war Teil derselben Stiftung wie das ‚Institut für Sozialforschung‘, existiert aber nicht mehr); in ihrem (in unseren Punkeraugen) eleganten und bequemen Büro fanden viele der Diskussionen statt, die dann in die ersten Radiokonzeptionen einmündeten: soziologische und politische Sprachkritik, Medienkritik – ich erinnere mich noch wie Helene mal in einer Diskussion betonte, dass es für uns wichtig ist zu verstehen, inwiefern die Proleten ganz recht haben, wenn sie zum öffentlich-rechtlichen Wortradio nur sagen, ‚jetzt schwätzen die wieder‘: weil die öffentlich-rechtlichen Worte eben nichts Relevantes sagen; Sexismus, die Klassenfrage; der Begriff Kultur (dynamisch und nicht statisch); wie sich die Bewegung geschickt und differenziert zum sanktpaulianer Kleinbürgertum verhalten sollte (welches einer unserer Mitstreiter, einer aus der damaligen Studierendenbewegung, gerne und abfällig als ‚der breite Bürger‘ apostrophierte, ein Begriff, dessen gewollte Begriffslosigkeit Helene regelmässig zur Explosion brachte – sie bestand immer auf klarer, präziser Sprache).

In Helenes Büro trafen sich auch die ‚Freundinnen und Freunde der schwierigen Fragen‘, mehr oder weniger in Personalunion mit der damals entstehenden Initiative für ein Radio, das ja auch dann der einen oder anderen schwierigen Frage nicht immer ganz aus dem Weg gehen sollte. Zwei Sachen hat sie mehr gehasst als den Tod: die bürgerliche Familie (eine Fabrikanlage zur Herstellung von Neurosen) und die Nation. Die Griechentümelei vieler griechischer Emigranten zum Beispiel kotzte sie an (ihre Wortwahl; diesen Ausdruck hat sie sehr oft gebraucht), ebenso wie der kleinbürgerliche ‚Befreiungsnationalismus‘ der Anti-Imps; beide Abneigungen, die viele von ‚uns‘ in ‚der Bewegung‘ an Helene bewunderten (und mehr oder weniger teilten oder zu teilen suchten), machten sie aber auch einsam. Die Weggegangene war zu gründlich weggegangen, um irgendwo wirklich anzukommen, unter den Zuhausegebliebenen wie unter den Eingeplackten. ‚Das dunkle Helenchen‘, wie sie sich manchmal etwas kokett nannte, war sich ihrer Fremdheit im hohen Norden immer bewusst, jeden Tag, wahrscheinlich. Was dem gemütlichen, einverstandenen, kuscheligen Sicheinlassen im Weg stand, war aber weniger ihr Dunkelsein als ihr stures Bestehen auf Klarheit. (Auch das Radio, als es dann richtig losging, wir, haben sie nur ganz selten mal eingeladen. Sie war zu sperrig fürs Sendeformat, auch bei uns.)

Die grosse Scheisse ist, dass Helene am Ende eben dann doch, obwohl sie über Jahrzehnte einfach jeden in der Szene kannte, isoliert, besonders nach der verhassten Pensionierung, auf ihre ‚eigene‘ Familie und die ‚Heimkehr‘ nach Thessaloniki angewiesen war. Der scheinbare Naturverband schnappt ein, wo die Solidarität der (nicht mehr so sehr) Kämpfenden zerfasert. Besser als alleine sterben müssen, klar, (ihre Verwandten sind freilich auch alles sehr nette und anständige Leute), aber schon sehr viel weniger als sie gehofft hätte.

Den Löffel abgeben, das hätte sie in der Roten Flora tun wollen, im Offenen. Helene hat es gar niemandem, nie, einfach gemacht, Freund oder Feind; die Niederlage, das Versagen, wie auch die verbleibende Verpflichtung, sind uns gemeinsam.

Marcel Stoetzler, London
(Vorab in der Langfassung aus dem Februar Transmitter)

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