Unter anderem bei Indymedia war in den letzten Tagen ein lesenswerter Text zu finden, den wir hier im O-Ton wiedergeben:
(Bild: de.indymedia.org)
Die Macht der Bilder
Libyen, "Volksrevolutionäre" und die Rote Flora
Seit kurzem kursiert ein Artikel im Internet, der die Frage stellt "Was hat Farid Beng und Rote Flora gemeinsam?". Die Antwort wird prompt mitgeliefert "beide Institutionen haben sich vor einiger Zeit solidarisch mit Gaddafi gezeigt." In dem auf Indymedia und dem Blog klassenkrieg.wordpress.com veröffentlichten Text, wird der Krieg in Libyen als Munition in einem Konflikt mit der Flora verwendet, der mit diesem Drama und den arabischen Aufständen eigentlich überhaupt nichts zu tun hat.
Dennoch lassen sich daraus Blickwinkel zur aktuellen Situation und eine autonome Perspektive in dem Konflikt ableiten, die unsere Sehgewohnheiten ebenso in Frage stellt, wie eindeutige Solidaritätsbekundungen. Vor allem aber kann mensch darin beobachten, wie durch politische Plakate Impulse gegeben werden können, die die Betrachter_innen zwingen, die eigene Haltung und Wahrnehmung in Bezug auf Umwelt und Geschehen zu überprüfen.
Wer nun Farid Beng nicht kennt, hat nichts verpasst und muss auch nicht besorgt sein. Es handelt sich offenbar um einen sexistischen Gangster Rapper, dessen Erwähnung lediglich nahelegen soll, die Flora sei kein politisches Zentrum, sondern einen sexistischer Moloch in dem "es bei den Partys oft zu sexistischen Übergriffen [kommt], welche wohl daher resultieren, dass das Publikum sich aus Yuppies und kleinen Kids, welche wohl zu viel Farid Beng gehört haben, zusammensetzt".
http://klassenkrieg.wordpress.com
Wer die Flora schon mal besucht hat kann zwar bestätigen, dass diese kein homogenes Autonomenzentrum ist, sondern ein soziales Zentrum welches unterschiedliche Leute nutzen. Sie steht dabei allerdings nicht aufgrund sexistischer Vorfälle in der Kritik, die dort wie überall im Patriarchat vorkommen, sondern aufgrund ihrer rigiden Haltung in Fällen sexualisierter Gewalt oder männerdominanten Verhaltens. Eine konsequente Umsetzung mag nicht immer gelingen, aber dennoch: Immer wieder fliegen Partygäste raus und Vergewaltiger haben Hausverbot. Der Artikel von klassenkrieg.wordpress.com zeigt allerdings auch an weiteren Punkten beispielhaft, wie Legendenbildung betrieben und Ereignisse zurechtgebogen werden. So wird das Plakat selbst aus dem Kontext gerissen und als Stellungnahme der Flora dargestellt.
Hoch die Kampf dem - Druck und Propaganda
Empört wird behauptet "kaum zu glauben vor ca. 15 Jahren hat ein Monat lang in der Roten Flora Soli-Veranstaltungen zu der „Volksrevolution“ in Libyen stattgefunden." Grundlage dieser Kritik ist ein Plakat der Siebdruckgruppe aus der Flora von 1995. Mensch muss die anfängliche Floskel "vor einiger Zeit" da schon als sehr dehnbaren Begriff verstehen – statt einen echten Kontext, soll sie eher Aktualität herstellen wo keine ist. Auch das Plakat selbst wurde nicht aus irgendwelchen geheimen Archiven geborgen, sondern vermutlich auf der Publikation "Hoch die Kampf dem - 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen" beiliegenden CD entdeckt.
http://www.uni-konstanz.de/FuF/Verwiss/holzinger/shaunss/texte/Plakatbuc...
Hätten die Verfasser sich die Mühe gemacht, das Buch zu lesen, wäre ihnen vermutlich auch aufgefallen, dass es sich nicht um eine Veranstaltungsreihe oder gar einen Festmonat zu 26 Jahren „Volksrevolution“ in Libyen handelt. Was vorliegt, ist ein altes Monatsplakat mit dem allgemeinen Programm der Flora. Diese Plakate wurden regelmäßig mit wechselnden Motiven von der Flora Siebdruckgruppe "Druck und Propaganda" hergestellt. Diese Gruppe zeichnete sich durch künstlerisch anspruchsvolle Gestaltung und die ironiesiernde Darstellung politischer Themen aus. Dabei wurden bewusst auch Tabubrüche als Stilmittel eingesetzt. Es gab als Beitrag zur Sexismusdiskussion eine Bauanleitung für einen Dildo oder im Zusammenhang mit dem Schanzenfest wurde die Errichtung eines Schrebergartensidylles vor der Flora in Szene gesetzt. Die Gruppe definierte ihren Gestaltungsansatz mit Statements wie "Fragen stellen ist gut, antworten müssen die Betrachter selber finden" und "Irritationen sind eine schöne Sache für's Hirn".
Ziel war nicht nur, Information mit klassischen Stilmitteln zu vermitteln, sondern die Information (Politik) mit dem Medium (Vermittlung) in Beziehung zu setzen. In einem Selbstbeschreibung in "Hoch die Kampf dem“ wird erklärt: "Wir wollten keine allumfassenden Aussagen machen oder zu allen aktuellen Debatten unseren Beitrag abgeben. In erster Linie verarbeiteten wir Diskussionen, die sich in der Gruppe ergaben, und benutzten die Plakate dazu, Gedanken, Standpunkte oder Fragen öffentlich zu machen. In diesem Sinne sehen wir die Gruppe »Rote Flora – Druck und Propaganda« als politische Gruppe, deren primäres Ausdrucks- und Agitationsmittel Plakate waren."
Internationalismuskritik und der Mythos nationaler Befreiung
Das Plakat „26 Jahre Volksrevolution in Libyen“ reiht sich in diese Arbeiten ein. Es bezog sich unter anderem auf eine damalige Delegation internationalistischer Linksradikaler aus Hamburg und Bremen, die zum kulturellen und politischen Austausch einen Besuch in Libyen machten. Politisch wurde Libyen zu dieser Zeit als Betroffen von internationalen Angriffen und Sanktionen gedeutet. Der Besuch sollte dabei weniger Solidarität mit dem Regime herstellen, sondern richtete sich vor allem gegen die als Teil einer kriegerischen Natopolitik empfundenen Maßnahmen.
Im Umfeld autonomer Diskurse wurde ein positiver Bezug auf das libysche System dennoch(???) kritisch gesehen. Nicht nur die Ausrichtung des grünen Buches, auch der autoritäre Regierungsstil und der dogmatische Ansatz vertrugen sich nicht mit undogmatischen Politikansätzen. Ebenso wurde der Volksbegriff spätestens seit den Pogromen zu Anfang der Neunziger in der autonomen Szene zunehmend negativ gedeutet und kritisch interpretiert. Von der Hamburger Gruppe Demontage entstand mit "Postfordistische Guerrilla - Vom Mythos nationaler Befreiung" 1998 ein in der Szene bedeutedes Buch, das sich kritisch mit Volksbefreiungsbewegungen und den dazugehörigen linken Bezugswelten auseinandersetzte, den Stand der damaligen Diskussionen wiedergab und auch aktuell Ansätze zur Deutung des Krieges in Libyen liefern kann.
http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,69,4.html
Das nun ausgegrabene Monatsplakat der Flora ist in dem oben beschriebenen Kontext entstanden. Es ist vor diesem Hintergrund nicht als Pro-Gadaffibekundung, sondern als ironisierende Überhöhung zum Zwecke der Kritik an linken Bezugssystemen zu sehen. Weder war der Volksbegriff zu dieser Zeit noch ein zeitgemäße Metapher im Floraumfeld, noch eine ikonisierende Abbildung von Gaddafi Teil der autonome Bildersprache und positiv besetzter Gestaltungsformen. Auch die grüne Färbung auf dem Plakat als Bezug auf religiöse Muster der lybischen Staatsdoktrin ist in diesem Zusammenhang kein Zufall. Das gesamte Motiv steht im Widerspruch zu dem, was die Flora politisch ist, und genau darin liegt der Umstand, warum es den Betrachter irritiert und verunsichert.
Der Versuch, im Medium Plakat mehr zu sehen als ein pragmatisches Mittel zum Zweck mit Ort, Uhrzeit und codiertem Anlass, ohne Mut zur Gestaltung und zum Experiment trieb die Gruppe an: "Die eigene Ästhetik gibt auch Aufschluss über Politik und Lebensverständnis, über Utopien und Weltbilder. Ein linker Moral-Kodex, der bestimmte Formen und Mittel heiligt, um andere zu verdammen, führt(e) zu einer weit verbreiteten Haltung, Plakate würden erst dann die richtigen Inhalte transportieren, wenn bestimmte Bilder und bekannte Parolen wie »hoch die nieder mit« enthalten sind. Dabei gibt es keine Gestaltungselemente oder Zeichen, die den BetrachterInnen zwangsläufig bestimmte Inhalte vermitteln; vielmehr ist das Zusammenspiel von gesellschaftlicher und kultureller Prägung sowie aktueller Zeichen- und Bildsymbolik ausschlaggebend für ein Verständnis des zu vermittelnden Anliegens."
Die Theorie und die Waffen der Kritik
Der Vorwurf von klassenkrieg.wordpress.com an die Rote Flora "Theoriefeindlichkeit und Abscheu sich eine wissenschaftliche Kritik anzueignen" diskreditiert sich, weil völlig unreflektiert auf künstlerische Auseinandersetzungsformen geblickt wird. Subtile Kritik wird aus dem eigenen dogmatisch-klassenkriegerischen Blickwinkel schlicht und einfach nicht verstanden und daher in gewohnter Manier als bloße Propaganda gedeutet. Aus den ursprünglichen Zusammenhängen ins Gegenteil verkehrt. Mensch mag das Plakat persönlich misslungen finden, aus heutiger Perspektive ablehnen oder anders bewerten. Doch gerade die orthodoxe Sichtweise von klassenkrieg gibt den Gestalter_innen von damals noch heute auf ironische Art und Weise recht im Bemühen um uneindeutige Blickwinkel.
Die Didaktik und Selbstdarstellung von klassenkrieg wirken im Gegensatz dazu eindimensional gestrickt. Sie lieferen eigene Antworten, bereits bevor irgendwelche Fragen oder Verunsicherungen überhaupt auftauchen: "Weder irgendwelche sozialen Bewegungen noch andere Studenten werden die Revolution vorantreiben. Es ist und bleibt das Proletariat, welches aufgrund seiner Stellung im Produktionsprozess das revolutionäre Subjekt ist." Haudraufundschluß. Die Ankündigung "Demnächst wird eine genauere Klassenanalyse folgen! Und verschiedene Gedanken weiter ausformuliert werden!" verspricht da eher ein sehr langer Marsch zu werden.
Allen, die Revolution auch als Begriff jenseits alter Arbeitermythen sehen, sei die Veranstaltung "No Wave Squatter Punk (Anti)Art Show" mit dem Motto: „Nicht das Neue, nicht das Alte, sondern das Notwendige“ ans Herz gelegt. Die heutige Siebdruckwerkstatt, präsentiert mit Radio Gagarin und unlimited liabilitys in einer zweiwöchigen Ausstellung ab 21.3. "die tumulthaften letzten Japser des Musik- und Kunstregelbrechens in der Hauptstadt des 20. Jahrhunderts, New York City". In der ersten Woche wird in der Roten Flora ein historisches Panorama (Drucke, Bücher, Poster, Zines, Videos, Schallplatten) gezeigt, ausgehend von der radikalen antikommerziellen Musik-, Film- und Kunstkollektiv-Produktion, die sich in verschiedenen einkommensschwachen (und zu Grunde gegangen!) Nachbarschaften in New York City in den späten 70er Jahren und frühen 80er Jahren entwickelte. In der zweiten Woche werden die vorher gezeigten Artefakte durch aktuellere Untersuchungen und Anliegen ergänzt. Dazu gehört insbesondere ein Informationsprojekt von Alan W. Moore das sich der Erhöhung der Bewusstheit über soziale Zentren in besetzten Häusern auf der ganzen Welt widmet, wovon die Rote Flora ein Beispiel ist.
http://florableibt.blogsport.de/texte/
Rauchwolken über Fukushima
Die Macht der Bilder entsteht in Konflikten erst in deren Deutung. Es ist notwendig sie zu hinterfragen und die Entwicklung kritischer Blickwinkel mit neuen eigenen Bildersprachen und Gestaltungsformen zu unterstützen.
Wir werden heutzutage gradezu überschwemmt von Aufnahmen und Fotografien, bei Krawallen im Schanzenviertel ebenso, wie bei Kriegseinsätzen oder Naturkatastrophen. Im Rahmen von Kriegseinsätzen wird von den Regierungen und Militärs die Aufbereitung und Deutung von Bildmaterial inzwischen als entscheidender Faktor gesehen. Kriegsgegner_innen wiederum veröffentlichen Aufnahmen von Opfern als heißes Material. Mehr als je zuvor lassen uns Unmengen an Bildern scheinbar losgelöst von Zeit und Raum an dem Geschehen überall in der Welt teil haben. Doch in Wirklichkeit sagen sie uns nicht viel mehr als das, was uns diejenigen erzählen, welche sie präsentieren. Weder spüren wir in den Bildern die Angst noch das Aufbegehrende, weder die Gefahr noch den Antrieb der abgebildeten Menschen.
In Japan sollen Rauchwolken über Fukushima tödliche Bedrohung und Wasserwerfereinsätze den Glauben an die Rettungsmaßnahmen vermitteln. Die Bilder sind von der Information längst zum Mittel der Manipulation geworden. Was sie bedeuten und uns erzählen können, entsteht erst im Kontext und mit entsprechenden Hintergrundinformationen. Wir sind heute mehr denn je aufgerufen, selber zu denken, wie es von "Druck und Propaganda" als Projekt bereits in den Neunzigern innerhalb der Bewegung eingefordert wurde. Wer es nicht tut geht dem Fetisch eindimensionaler Weltsichten auf den Leim und verliert vor lauter Augenpulver den Blick hinter die Dinge.
Hinter dem Siebdruck
Dass das Gadaffiplakat der Siebdruckgruppe nun späte Beachtung durch klassenkrieg erfährt, hat seinen Ursprung in einem ganz anderen Konflikt als dem vordergründigen Thema. Hintergrund des ressentimentgeladenen Artikels gegen die Rote Flora ist ein Konflikt mit dem Umfeld des antiimperialistischen Zentrums B5. Schon länger wird aus dieser Richtung spamming gegen die Rote Flora betrieben, da diese sich der breiten Kritik beinahe aller politischer Spektren an der Blockade jüdischer Filme in einem Hamburger Programmkino angeschlossen hat.
Seit einer Erklärung der Roten Flora zu diesem Vorfall ( http://www.nadir.org/nadir/initiativ/roteflora/news/20090030.html) sieht sich die Hamburger Antiimp-Szene in einer Opferrolle. Ein selbstkritischer Umgang mit der international einmaligen Blockade eines Filmes von Claude Lanzmann bleibt hingegen bis heute aus. Wenn nun 16 Jahre alte Plakate einer Gruppe aufgeboten werden, um die Flora als Ganzes zu kritisieren, mit der Formulierung, dass diese "die absolute Wahrheit für sich gepachtet [hat], wie bei der Hetze gegen den revolutionären 1. Mai 2010 in Hamburg" wird deutlich, wie verrannt mensch sich im Spektrum um SOL und Rote Szene Hamburg in diesem Konflikt nach wie vor bewegt.
"Missverständnisse" und der Tanz in den Mai
Jene autonomen und anarchistischen Gruppen, welche die revolutionären 1. Mai Demos in früheren Jahren getragen haben, haben sich im letzten Jahr aufgrund der Blockade des B-Movie Kinos und der Angriffe auf Besucher_innen aus dem Vorbereitungskreis zurückgezogen. Aus diesem Spektrum wird stattdessen im großen Stil gegen den Naziaufmarsch nach Bremen mobilisiert. Und es braucht auch keine hellseherischen Fähigkeiten, dass es an diesem Tag am späteren Abend rund um das Hamburger Schanzenviertel knallen wird. Tagsüber wird wie in den letzten Jahren der Euromayday prekarisierte Arbeitsverhältnisse und „Recht auf Stadt“-Themen aufgreifen.
Die Vorbereitung der „revolutionären“ 1. Mai Demo 2011 in Hamburg wird in einem politisch weitgehend isolierten Milieu stattfinden. Auf einem ersten Vorbereitungstreffen, welches auf Indymedia beworben worden ist, wurde versucht, gut Wetter zu machen und die Konflikte des letzten Jahres als eine Art Missverständnis darzustellen. Offenbar wird sich bemüht wieder zu einer Art "politischen Normalität" zurückzukehren. Hiervon zeugt auch eine vermehrte Bündnispolitik mit auswärtigen Gruppen wie der ALB als Reaktion auf die politische Isolation vor Ort. Ebenso soll die verstärkte Nutzung von spektrenübergreifender lokaler Infrastruktur wie dem Centro Sociale für eigene Veranstaltungen als vermeintlicher Persilschein in Sachen Blockade des B-Movies dienen. Statt den notwendigen Worten des Bedauerns und politischer Selbstkritik wird versucht, sich über Aktivismus die Weste rein zu waschen. Kritik wird stattdessen pauschal als antideutsch verunglimpft oder in einem Sinne herabgespielt, dass der Konflikt keine Dringlichkeit über das übliche Hick-Hack hinaus hätte.
"Es ist noch nie irgendwo auf der Welt die Vorführung meiner Filme verhindert worden" - jetzt ist es passiert, ausgerechnet in Deutschland."
Claude Lanzmann
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,661980,00.html
Für uns als Autonome besteht in den Angriffen auf das B-Movie und dessen Gäste, darunter bei der zweiten Aufführung auch Mitglieder der jüdischen Gemeinde, an dieser Stelle allerdings eine Grenze, die jenseits sonstiger politischer Gegensätze und Konflikte nicht überschritten werden darf. Wenn dies dazu führt, dass der Flora als Projekt aus besagtem antiimperialistischen Spektrum Gaddafi-Fankult, ZK-Mentalität oder kulturindustrielle Event-Disko vorgeworfen wird, dann geschenkt. Denn es geht um etwas völlig anderes, als dass "Autonome in ihrer Geschichte viele komischen Sachen vertreten" haben, wie klassenkrieg meint.
Letzteres ist sicherlich ebenso unbestreitbar richtig, wie erstmal nichtssagend. Bedeutend ist vielmehr, dass nicht nur Autonome, sondern auch andere Teile der Linken aus ihrer Geschichte und ihren Fehlern zu lernen versuchen. Ein Reflektionsvermögen, dass offenbar nicht überall vorhanden ist und insbesondere in antiimperialistischen Umfeldern nach wie vor ideologisch verstellt ist. Wer die Blockade jüdischer Filme in Deutschland noch für ein legitimes Kampfmittel hält, um seine liebgewordenen Zwistigkeiten mit Antideutschen auszutragen, ist theoretisch kaum in der Lage, wie von klassenkrieg angestrebt, Autonome "mit ihrer Geschichte zu konfrontieren", was an sich ja kein falscher Gedanke ist. Das Erkennen von Geschichte entsteht jedoch durch die Reduzierung auf aktuelle Bezüge und Animositäten, sondern durch den Versuch, historische Zusammenhänge vor dem Hintergrund ihrer Zeit zu erkennen und in eigene politische Praktiken und Deutungen als Erfahrungshintergrund einfließen zu lassen.
Die Aufstände in der arabischen Welt sind positiv
Die Hinterfragung eigener Gewissheiten ist ein unverzichtbarer Bestandteil hiervon. Das Flora Plakat war ein Teil solcher Versuche von Aneignung und Dekonstruktion im Bemühen um eine differenzierte Sicht auf die sich verändernden Koordinatensysteme der postsozialistischen Welt. Selbst ohne konkreteres Wissen um diese Zusammenhänge, wäre das Plakat allenfalls Ausdruck davon, dass weite Teile der Linken sich in den Achtzigern aktiv gegen die Luftangriffe auf Libyen positioniert und manche sich weitergehend gar positiv auf das Regime bezogen haben. Die daraus folgende notwendige Infragestellung von nationalen Befreiungsbewegungen im Rahmen antikolonialer Kämpfe ist in undogmatisch, autonomen Spektren längst erfolgt. Bei den antiimperialistischen Kritiker_innen der Positionierung der Flora jedoch ganz offensichtlich nicht.
Unbekümmert wird sich dort bis heute mit den "Volksbefreiungsbewegungen der Welt" solidarisiert und Israel als kolonialer Fremdkörper im arabischen Raum gedeutet, dem im schlimmsten Fall das Existenzrecht abgesprochen wird. Ein Zusammenhang mit der Shoa wird ebenso ausgeblendet, wie die wirkliche Situation und die Probleme der arabischen Bevölkerung. Nicht weniger als die Gewaltvolle israelische Besatzungspolitik sind auch die Gewalt im Inneren durch die korrupten Systeme der Fatah und der religiösen Fundamentalisten der Hamas ein Problem. Die Aufstände in der arabischen Welt, in Libyen und auch im Gaza-Streifen, sind ein positiver Ausdruck davon, dass auch diese Dinge von den Menschen vor Ort wahrgenommen und hinterfragt werden. Es gilt dort wie hier die alte kommunistische Parole: Der Hauptfeind steht im eigenen Land.
Es kommt dabei zunächst weniger darauf an, ob das Kommende wirklich progressiver als das Bestehende ist. Es ist vielmehr zunächst wichtig und gut, dass überhaupt etwas in Bewegung gekommen ist und die Erstarrung gelöst wird. An diesem Punk steht der ewigen verschwörungstheoretischen Lyrik über "Zionisten", die an allem Elend der Welt schuld sein sollen - der Inszenierung äußerer Feinde zur Stabilisierung herrschender Verhältnisse - eine sozialrevolutionäre Perspektive entgegen. Solche Umbrüche sind bei aller Unterschiedlichkeit mittlererweile weltweit zu verfolgen. Weniger als Gemeinsamkeiten aufbegehrender Jugendlicher in Japan, China, Tunesien, Ägypten, Griechenland oder Frankreich kündigt sich darin eine Zeitenwende an. Die Muster und Beweggründe von Aufständen und Revolten bewegen sich nicht mehr unbedingt in klassischen Konstellationen. Die Welt verändert sich und auch wir sind gezwungen, unsere Sichtweisen ständig zu verändern und auf die Situation abzustimmen.
Den internationale Kriegseinsatz in Libyen stoppen
Die internationalen Luftangriffe auf Libyen sind trotzdem zu kritisieren. Die Dialektik von Waffenlieferungen für despotische Regime und anschließender humanitärer Kriegseinsätze, um diese wieder zu zerstören, muss durchbrochen werden. Kriegseinsätze schaffen nur Leid und Tod, eskalieren Konflikte weiter nach Innen und bomben im Erfolgsfall lediglich neue Regime herbei. Wirkliche soziale Aneignungsprozesse stellen sich nur langfristig her. Antiimperialistische Solidaritätsfallen helfen dabei ebenso wenig wie antideutsche Kriegsbegeisterung. Echte Revolutionen entstehen weder durch internationale Mandate noch durch den Bezug auf konstruierte Völker und deren Rechte, sondern durch die Verbreiterung individueller Widerstandsvernetzungen zu kollektiven Prozessen der Emanzipation.
Diesen Funkenflug gilt es, immer wieder zu verteidigen und anzufachen. Nicht als Inkraftsetzung neuer Machteliten, sondern als permanenten politischen Prozess der Kritik und Aneignung des Lebens. Die radikale Forderung nach offenen Grenzen rettet mehr Menschen das Leben als Kampfjets und Marschflugkörper. Ob sie von der NATO oder Gaddafi eingesetzt werden, letztere demonstrieren nur den ungebrochenen Machtanspruch der Technokratie über die Gesellschaft und den Begriff der Freiheit selbst.
Was soll denn ein
Was soll denn ein "jüdischer Film" sein?
Das ist doch ein ziemlich gedankenloser Umgang mit so einem komplizierten Thema.
Ansonsten ein im Großen und Ganzen interessanter Text. Den Schluss über die Aufstände in den arabischen Ländern finde ich allerdings sehr platt und schablonenhaft (und dass die Korruption der PLO ein ebenso großes Problem wie die Besatzung sei, ist dann doch etwas besatzungsverharmlosend). Im Absatz über Libyen fehlt mir eine Analyse über die westlichen Interessen, die hinter dem Krieg stehen.
Auch wenn ich einigen
Auch wenn ich einigen Ansichten und Thesen des Textes nicht ganz zustimmen kann, finde ich den Artikel insgesamt doch sehr treffend. Besonders zustimmen möchte ich bei der Aussage, dass es vorerst einmal wichtig ist, dass sich überhaupt etwas bewegt. Die genaue Stoßrichtung der Bewegung muss und wird sich im Laufe der Zeit entwickeln, aber viele mögliche Perspektiven werden erst klar, wenn die Bewegung erst einmal da ist.
Eine kleine Korrektur möchte ich außerdem machen. Der beschriebene "Gangster Rapper" nennt sich "Farid Bang", nicht "Farid Beng".