Zensur wegen misslungener Selbstdarstellung

Pressemitteilung
Hamburg, 30. Januar 2005

Zensur wegen misslungener Selbstdarstellung
Radioredakteur verurteilt, weil Richter Polizeipressesprecher nicht stottern hören will

Am vergangenen Freitag wurde der ehrenamtliche FSK-Redakteur Werner P. zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. Ein extrem hohes Strafmaß, wenn man bedenkt, dass vor einigen Wochen an demselben Gericht 80 Tagessätze für fahrlässige Tötung verhängt worden sind. Umso absurder erscheint diese hohe Strafe, wenn man sich die Hintergründe des Prozesses ansieht.
Am 18. und 19. Oktober 2003 führte Werner P. zwei Interviews mit dem Polizeipressesprecher Ralf Kunz. Er stellte sich mit seinem vollen Namen, als Mitarbeiter des Hamburger Freien Radios FSK vor und fragte nach den zahlreichen Festnahmen auf der nachmittäglichen Bambule-Demonstration zur Verteidigung von Bauwagenplätzen und des Demonstrationsrechts. Zentrales Thema der Gespräche waren zwei Demonstrationsteilnehmer, die während ihrer Festnahme schwer verletzt worden waren und in ein Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Da diese Vorfälle in keiner offiziellen Stellungnahme der Polizei auftauchten, wollte der Redakteur des Freien Sender Kombinats Details erfahren. Vergeblich, wie Werner P. zusammenfasst: "In den Interviews mit Kunz war offensichtlich, dass die Polizeipressestelle entweder intern falsch informiert worden war oder die Öffentlichkeit uninformiert lassen wollte." Einige Tage später sendete FSK Teile dieser Gespräche.
Dass Polizeipressesprecher Kunz dabei keine gut informierte, professionelle Figur abgegeben hat, scheint auch er selbst zu glauben. Etwa vier Wochen später, am 25. November 2003, führten Polizei und Staatsanwaltschaft in den Studio- und Redaktionsräumen des nichtkommerziellen Radiosenders eine martialisch inszenierte Razzia durch. Die Begründung des amtsrichterlichen Durchsuchungsbeschlusses: Polizeipressesprecher Kunz habe die Gespräche nicht explizit freigegeben. Dazu Werner P.: "Ich hatte keinen Zweifel, dass die Interviews gesendet werden durften, schließlich hatte ich keinen Beamten privat nach seiner Meinung gefragt, sondern offizielle Gespräche mit der Pressestelle geführt."
Zum Zeitpunkt der Razzia lag den Behörden ein Mitschnitt der im Radio ausgestrahlten Interviewteile vor. Gesucht wurde nun angeblich die Originalaufzeichnung der Interviews. Die Maßnahmen der BeamtInnen hatten mit dem Anlass der Durchsuchung allerdings nichts zu tun: Die gesamte Studiotechnik wurde abfotografiert, von sämtlichen Räumlichkeiten wurden Grundrissskizzen angefertigt und mehrere Ordner mit Adressen und Redaktionsunterlagen wurden beschlagnahmt. Darüber hinaus übten die BeamtInnen Zensur und untersagten den Sendenden jegliche Erwähnung der Hausdurchsuchung über den Äther.

Als Staatsanwaltschaft und Polizei das Gesuchte nach stundenlanger Inspektion nicht gefunden hatten, zogen sie in die Privatwohnung des Redakteurs weiter. Ohne richterlichen Durchsuchungs-beschluss verletzten sie seine Privatsphäre und machten Fotografien, von denen das Amtsgericht inzwischen festgestellt hat, dass sie strafrechtlich irrelevant und rechtwidrig waren.
Doch auch diese unrechtmäßige Razzia brachte nicht die gewünschten Ergebnisse. Die Originalaufnahme der Gespräche wurde nicht gefunden. Stattdessen beschlagnahmten die BeamtInnen ein älteres, nie gesendetes Interview mit der Polizeipressestelle, in dem es um eine vermisste Polizeiwaffe während eines Neonazi-Aufmarsches ging.

Als Werner P. letzten Freitag das Gerichtsgebäude betrat, wurden ihm zwei Vergehen vorgeworfen. Nach § 201 StGB habe er die "Vertraulichkeit des Wortes" verletzt, und zwar
1. durch das Aufzeichnen des nicht gesendeten Interviews mit Polizeipressestelle; und
2. durch das Aufzeichnen und Senden der Interviews mit Polizeipressesprecher Kunz.
Zu Beginn der Verhandlung wurde der erste Anklagepunkt eingestellt, da auch das Gericht einräumen musste, dass die Polizeiermittlungen, während denen der Mitschnitt des Interviews beschlagnahmt worden war, verfassungsrechtlich fragwürdig sind.
Bei der Verhandlung des zweiten Anklagepunktes führte Verteidiger Ralf Ritter aus, dass der Vertrauensschutz in der täglichen Arbeit von Pressesprechern nicht gelte, sofern nicht ausdrücklich Vertraulichkeit vereinbart worden ist: "Hier geht es nicht um die Privatsphäre von Herrn Kunz, sondern um die, wenn vielleicht auch missglückte, offizielle Selbstdarstellung der Polizei. Inhaltlich bestand ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an den Vorfällen, um die es in den Interviews ging."
Das Interesse der Öffentlichkeit scheint nicht das Interesse der Staatsanwaltschaft zu sein. Der durch den FSK-Redakteur beschrittene Weg würde, so das Abschlussplädoyer der Staatsanwaltschaft, das Vertrauensverhältnis von JournalistInnen und Polizei stören. Wenn ein Journalist sich nicht jedes Gespräch ausdrücklich zur Veröffentlichung freigeben lässt, könne die Polizei sich nicht darauf verlassen, dass "geheime", nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen vertraulich behandelt werden würden.
In der Logik der Staatsanwaltschaft liegt der Schutz der Pressefreiheit also im Schutz der Pressearbeit der Polizei. Dabei war der ursprüngliche Anlass der Telefoninterviews doch gerade der Verdacht, dass die Polizeipressestelle die genaueren Umstände der Festnahmen auf der Demonstration zu verschleiern suchte.
Dass es bei den Gesprächen am 18. und 19. Oktober 2003 sowieso nicht um vertrauliche Informationen ging, bestätigte auf Nachfrage des Verteidigers auch Polizeipressesprecher Kunz: "Nein, ich habe keine Geheimnisse mitgeteilt. Ich konnte inhaltlich so gut wie nichts mitteilen."
Der bedenklichen staatsanwaltschaftlichen Vorstellung von Pressefreiheit schloss sich Amtsrichter Thomas Semprich nicht an. Die Inhalte des Gesprächs, so urteilte er, waren eindeutig von öffentlichem Interesse. Dennoch verhängte er das von der Staatsanwaltschaft geforderte, hohe Strafmaß. Denn auch ein Pressesprecher habe ein Recht auf seine Stimme. "Es ist ein Unterschied", so Semprich, "in welcher Art und Weise man ein Gespräch führt und ob dann jedes peinliche Ääh oder Stottern gesendet wird."
Es sind also Stimme und Sprechweise, die mit diesem Urteil geschützt werden. Für diesen Fall jedoch kann Polizeipressesprecher Kunz beruhigt werden: Die regelmäßige Hörerin Freien Radios ist an Füllwörter und stockendes Sprechen gewöhnt!

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