Der glückliche Moment des Aufstandes

Zu den griechischen Riots.

Schon mit dem Titel beginnen die ersten Fragen: Riot oder Aufstand?

In mittlerweile 14 FSK Sendungen sind wir dieser Frage als Ausgangsfragestellung zur Analyse der griechischen Ereignisse nachgegangen. Als Riot würden wir die spontane und kurzzeitige Entladung einer gesellschaftlichen Wut verstehen. Das was wir aus Griechenland gehört haben, ging darüber deutlich hinaus und war deutlich mehr als das, was die Fernsehbilder vorgegeben haben.

Als wichtiges Moment verstehen wir das gesellschaftliche Ausmaß der Empörung. Diese richtete sich aufgrund des Mordes an einem Jugendlichen zunächst in der Form des Riots gegen die Polizei. Schnell sprang der Funke über - die Geschichte der Polizeimorde war reaktualisiert, auch die Tatsache das diese insbesondere an Flüchtlingen geradezu regelmäßig stattfanden.

Von dem Moment der rassistischen Polizeibrutalitäten führte in Griechenland - wie auf andere Weise in Frankreich vor drei Jahren - eine politische Spur zur sozialen Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen. Anders aber als in Frankreich, wo die CPE Bewegung und die Banlieu Riots lediglich chronologisch aufeinander folgten, verbanden sich diese Fragen auf politische Weise im griechischen Aufstand. Die Festnahme Statistiken für Griechenland deuten dabei auf eine sehr starke Beteiligung migrantischer Gruppen.

Zugleich war aber auch scheinbar die gesamte Mittelschicht in Aufruhr, denn es war nicht nur ein "Kind von ihnen" erschossen worden; vielmehr verbalisierten die jugendlichen Angehörigen dieser Gruppe die weitgehende soziale Verunsicherung des sozialen Statusverlustes und der Existenzangst. Dazu einen wohl nicht mehr nur begrenzten Vertrauensverlust in die politischen Institutionen.

In einer Sendung wurde beschrieben, daß die Presse nicht hinreichend viele KorrespondentInnen hat, um die Ereignisse aus allen Orten zu schildern. Dem wurde, so die Beschreibung, damit abgeholfen, daß Zeitungen ganze Spalten füllten mit Ortsnamen und Demo TeilnehmerInnenzahlen.

Manchmal wurde der Aufstand auch als Ende der Repräsentation beschrieben - tatsächlich war diese wohl eher für den glücklichen Moment des Aufstandes temporär außer Kraft gesetzt. Es ergibt sich somit die Frage der sozialen Aneignung dieser Momente:

Aus verschiedensten Orten in Griechenland war vermeldet, daß dort nicht nur Polizeistationen und Bürgermeisterämter besetzt waren. Dort wurden Versammlungen abgehalten, wie sonst eigentlich nur in Universitäten und Schulen. Täglich. Die sozialen Angelegenheiten waren Gegenstand von gesellschaftlichen Diskussionen und Entscheidungen. Das Ausmaß einer politischen Parallelstruktur ist dabei allerdings nicht erreicht worden.

Allerdings scheint sich die Presse als Rolle einer vierten Gewalt mehr denn je bewußt geworden zu sein. Es ist vermeldet, daß landesweit aufklärerisch wirkende JournalistInnen in namhafter Zahl sich neu organisiert haben. Ähnliches scheint auf dem Sektor der Justiz begonnen - darauf deutet die Festnahme des gesamten AnwältInenkollektivs der Bildungsdemonstration am 9. Januar in Athen hin. Signifikant ist die Auseinandersetzung mit und innerhalb der Gewerkschaften, hier scheint eine Welle der Reformulierung klassenkämpferischer Positionen eingesetzt zu haben.

Gerade aus den Meldungen über die Debatten um die Rolle der Gewerkschaften wird deutlich, daß eine Charakterisierung der Auseinandersetzungen als Riot nicht hinreichen kann, die neue soziale Realität zu beschreiben und das diese Bewegung auch deutlich über eine Jugendbewegung, wie auch eine Bewegung eines sozial verunsicherten Mittelstands hinausweist.

Festzuhalten bleibt auf jeden Fall eine breite Politisierung, deren Zeichen auf ein "Mehr" als das Bestehende deuten. Festzuhalten bleibt auch, daß diese Zeichen in Europa angekommen sind und das eine Ausweitung in andere europäische Zentren wohl nur noch eine Frage der Zeit ist.

Der Polizeimord an einem Schüler war in Griechenland, wie auch in den Banlieus der Auslöser. Eine Linke, die auf Anläße diesen Ausmaßes wartet, um dann einen Aufstand im Sinne einer Märtyreranbetung zu erwarten, verfehlt schon im Ansatz ihre emanzipatorische Aufgabe. Sie bleibt Objekt, wo sie Subjekt der sozialen Aneignung zu sein hat. Sie wird im Riot stecken bleiben oder sie wird (repräsentative) Funktionen anstreben.

Der glückliche Moment ist so lange ein unglücklicher Moment wo für ihn Menschen sterben müssen oder wollen. Der glückliche Moment ist dort, wo niemand Tote und Verletzte voraussetzt um daraus Freiheit meint schöpfen zu können. Der unglückliche Moment hat immer schon des Herz und das Gesicht der herrschenden Verhältnisse angenommen. Der glückliche Moment hat am Beginn des Aufstands bereits die Lösung dieses Dilemmas gefunden...

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