Kolumne des Café Morgenland - Juli 2019
Bis zum nächsten Mord (24.07.2019)
Die Meldungen über kriminelle Machenschaften derer, die von manchen bislang als Abschaum tituliert wurden, überschlagen sich. Sieht man die Bilder im Fernsehen und nun auch in Dokumentationen fällt auf, dass diese sonst nur durch dumpfe Gewalt und Kleinkriminalität wie Drogen- aber auch im Waffenhandel bekannten meist neuen Bürger inzwischen dazu übergegangen sind, Immobilien zu erwerben. Diese finanzielle Unabhängigkeit erlaubte es ihnen, in bestimmten Regionen mehr als 60 Objekte zu erwerben. Das Portfolio wird selbstverständlich auch nach wie vor mit Drogen- und Waffenhandel, sowie mit den üblichen Nazi Devotionalien diversifiziert. In die Schlagzeilen geraten diese Nazi-Clans allerdings nicht, egal wie sie sich anstrengen. Selbst wenn sie Menschen ermorden.
“Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen”
sagte der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke in Lohfelden, Nordhessen am 14. Oktober 2015 (Spiegel, 26.6.2019), als er den zum Scheitern verurteilten Versuch unternahm, dem Mob humanitären Umgang mit den Geflüchteten beizubringen. Als „Volksverräter“ wurde er seitdem tituliert.
Nach diesem Satz wurde standrechtlich (diesmal ohne Volksgerichthof) sein Todesurteil gefällt. Danach war es eine Frage der Zeit. Genauer gesagt, der passenden Zeit. Und sie kam am 2. Juni 2019, in seinem Haus in Istha bei Kassel. Er wurde durch den Neonazi Stephan Ernst, ein altbekanntes Mitglied eines hessischen Nazi-Clans, exekutiert.
Die Obduktion ergab, dass der tödliche Schuss aus nächster Nähe auf seinen Kopf abgefeuert worden war. Nach altem Vorbild: Der SS-Mann mit ausgebreiten Beinen fest auf den Boden, um den Rückstoß seine Pistole abzufangen, streckt seine Waffe auf den Kopf des Opfers und drückt ab. Aus und vorbei. Der Nächste… Ein Novum. Nicht, dass Nazis Menschen umbringen, wir alle wissen dass dies regelmäßig geschieht. Aber es ist das erste Mal, dass ein aktiver Politiker der Regierungspartei CDU in seinem eigenen Haus aufgesucht und hingerichtet wurde. Der Mord wurde im Stil der NSU ausgeführt.
Der Staat sieht beim Nazi Morden natürlich nicht weg, er ist vor Ort. Wie im Falle des NSU-Mordes an einem Kasseler Internetshop Betreiber. Die Tat wird umgehend als eine „abscheuliche Tat“ bezeichnet, wie bei dem Mordversuch auf offener Straße in der hessischen Stadt Wächtersbach am 22. Juli. Der 55jährige Roland K. hatte in der Industriestraße am Rande von Wächtersbach auf einen Mann aus Eritrea geschossen. Schwer verletzt überlebte dieser nur knapp nach einer Notoperation. Wenige Stunden später fand die Polizei den Täter tot in seinem Auto. Dort fanden sich auch weitere Waffen und ein Abschiedsschreiben. Bisher gibt die Polizei den Brief nicht frei. Allerdings vermelden Medien, dass darin rassistische Motive zu finden seien. Offenbar hat der Täter - ähnlich wie im Falle des Rechtsterroristen David Sonboly am 22. Juli 2016 - bewusst unter positiver Bezugnahme auf den Massenmord durch den rechtsradikalen Anders Breivik den 22. Juli für seine Tat gewählt.
Rassistisch motivierte (auch behördliche) Schikanen / Diskriminierungen, Beleidigungen, Beschimpfungen, Drohungen, Überfälle, Brandstiftungen und Morde gehören zur profanen, ja trivialen, bundesrepublikanischen Alltäglichkeit.
Aber wie sind wir so schnell von den unansehnlichen Bildern aus Chemnitz (dort demonstrierten die Nazis in erster Linie Obszönitäten inklusive nackter Gesäße und Hitlergruß) zu einem Mord an einem antifaschistisch gesinnten Politiker gekommen? Schien es doch bei den Bildern z.B. am Karl-Marx Platz an einigem zu fehlen. Zum einen an einem anständigen antifaschistischen Widerstand und einer ordentlichen Tracht Prügel für den Mob. Zum anderen fehlte es auf Seiten der Nazis an rhetorischen Grundlagen und linguistischen wie kognitiven Kapazitäten. Abwesend waren wie immer auch grundlegende zivilisatorische Standards. Der chronische Mangel an rudimentärer Körper- und Zahnpflege hat sich leider ebenfalls in unsere Erinnerung eingebrannt.
Die Frage, die sich alle guten Deutschen (alle drei oder vier) und der geneigte Leser jetzt stellen ist: Wenn alle wissen, dass sich diese Nazi-Clans mit Geldwäsche, Immobilienkauf, Drogen sowie Waffenhandel finanzieren und Mordanschläge verüben, warum werden ihnen die Ressourcen nicht genommen? Warum wird der Mob nicht enteignet? Warum werden die Nazi Organisationen nicht zwangsweise aufgelöst? Der Grund dafür ist klar und die Frage war rhetorisch. Es handelt sich schließlich um Deutsche und nicht um Migranten, die als Familien-Clans (ohne Nazi) tituliert in Sippenhaft genommen und unter Beifall der lieben Nachbarn sowie des oben beschriebenen Nazi-Mobs ohne den geringsten Aufschrei kriminalisiert, enteignet, inhaftiert und auch abgeschoben werden.
Schneller als wir schauen können wird zum Zuschauen der Turnübungen des bis zu den Zähnen bewaffneten SEKs an der Fassade der Häuser der „Familien-Clans“ eingeladen. Unter den zufriedenen Blicken der Nachbarschaft, werden zunächst die Bewohner „weggeschafft“. Die Nachbarn gründen ihren Verdacht der Kriminalität gerne darauf, dass „Araber“, „Ausländer“ „Kanaken“ größere Autos und Häuser besitzen, als es ihnen zusteht. Sie werden mit den spektakulären SEK-Räumungsaktionen in allen Punkten belohnt (Rassismus eben!).
Auf allen Kanälen werden die Fähigkeiten der Polizei und der anderen staatlichen Vollzugsorgane demonstriert. Der Umgang mit den „Familien-Clan“ Mitgliedern, wonach auch die lumpigen Nachbarn gieren, ist gnadenlos: Personen im Haus – im Zweifelsfall werden diese abgeschoben. Häuser, Autos, Bargeld sowie sonstige Wertgegenstände werden beschlagnahmt und sicher auch gerne mal unterschlagen. Oft reicht es, im Haus anwesend zu sein oder einen Nachweis selbst über rechtmäßig Erworbenes nicht spontan erbringen zu können, um der Sippenhaft unterworfen zu werden. So einfach ist das, wenn es keine Nazis sind.
Wo auf der einen Seite Übereifer - getrieben durch Anabolika und Rassismus - waltet, herrscht nach dem Mord an Walter Lübcke dumpfes allseitiges Schweigen. Wer eine breite Reaktion, eine Groß-Demo oder auch nur einen kleinen Protest sucht, sucht vergebens. Keine Demos, keine Straßenschilder Initiative oder gar eine Diskussion um ein Denkmal für ihn. Schilder wie bei Silvio Meier, Demos wie bei Conney fehlen genauso wie eine lautstarke Forderung nach einem nazifreien Land.
Wer von der politische Klasse incl. der Mehrheitsgesellschaft, ein schonungsloses Vorgehen gegen die Mördergruben erwartete, hatte die Situation nicht verstanden. Denn es geht bei dem Konsens des Stillschweigens darum, durch vielfältige Anstrengungen (Psychologisierung, Sozialumfeldforschung, Kindheitserlebnisse usw.), die Nazi-Mörder und Rechtsterroristen zu re-integrieren (obwohl sie bereits bestens integriert waren und sind), sie als Bestandteil der deutschen Gesellschaft zu tolerieren, mit ihnen zu reden und ihre Nöten und Sorgen zu verstehen (Gauck) und die Morde einigermaßen kontrollierbar und eingegrenzt zu halten. Soweit eingegrenzt, dass das Ausland nicht allzu sehr erschreckt wird. Die leise Rüge, der diskrete Tadel oder gar die Missbilligung wird zu einer inner-familiären Angelegenheit. Denn Deutsche lassen Deutsche nicht im Stich. Nicht mehr und nicht weniger. Sowohl das NSU-Projekt und seine Abwicklung als auch der aktuelle Mord an Walter Lübcke sind mehr als nur Indizien dafür.
Das Ritual ist altbekannt und bewährt: Zuerst die Verurteilung, Empörung und vor allem „Überraschung“ und „Schock“ (dass ein Nazi einen Antifaschisten tötete!), das sind eingeübte Reaktionen. Eine Überraschung vergleichbar etwa mit der, wenn etwa bei einer eventuellen Enthüllung heraus kommt, dass A. Hitler ein Antisemit gewesen sein soll. Danach – ziemlich schnell diesmal – gehen alle zur Tagesordnung über. Von rechts bis links.
Zu Erinnerung: Als die Afd ihre ersten Erfolge abfeierte, kam von ALLEN Seiten Empörung und die standhafte Haltung zum Ausdruck, dass sie mit denen keine Diskussionen, keine Gespräche usw. führen werden, sondern sie isolieren. Inzwischen läuft keine Talkshow ohne Teilnahme des Publikumsmagneten, irgendeines Afd-Kaders. In Sachsen werden gar spruchreife Überlegungen angestellt, je nach Ergebnis im September bei den Landtagswahlen, mit der Afd zu koalieren, um eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Und die Linke ist zurzeit geistig noch beim G20 und ansonsten sucht sie nach dem bösen ökologiefressenden Wolf im Hambacher Forst. Da ist keine Zeit und auch kein Platz für einen ermordeten Antifaschisten, nicht zuletzt wenn er aus deren Sicht ein „Konservativer“ war.
Dass dieses Schweigen gefährlich, mörderisch ist, ahnen die meisten noch nicht oder die Ahnungslosigkeit ist nur vorgeschoben. Lübcke wurde erschossen, weil sie an Merkel nicht rankommen konnten. Merkel muss weg, sagen sie. Lübcke ist jetzt weg. So wird es in der Rechten gehandelt.
In der Kriminalistik geht es oft um ein Motiv und darum herauszubekommen, wer im Einzelnen an dem Verbrechen beteiligt war. Es wird versucht anhand des Motives die Schuld zu identifizieren um dann den Delinquenten seiner gerechten Strafe zu zuführen.
Suchen wir also nach dem Motiv: Die 1,5 Millionen Geflüchteten die 2015 ins Land kamen, lösten bei der Bevölkerungsmehrheit ein kollektives Trauma aus. Mit nachhaltiger Wirkung. Es waren Stalingrad- und Alliierten-Bombardierungs-Effekte, bei denen sie sich damals wie heute als „gefühlte Opfer“ sahen und sehen. Die Kanaken-Invasion treibt sie zur Weißglut, Pogromstimmung und zum mörderischen Handeln.
Das hört sich neulich bei der Deutschen Bahn etwa so an: “Liebe Fahrgäste, unser Zug hat wegen der Entschärfung einer Bombe, die die Westalliierten auf die unschuldige Bevölkerung Frankfurts abgeworfen haben, zur Zeit 45 Minuten Verspätung”. (Aus "Stern", 8. Juli 2019)
Und wer war an dem Mord beteiligt? Selbstverständlich muss auch dieses Mal offiziell die Einzeltätertheorie herhalten. Wie beim NSU, soll es nur eine einzige (lebende) Person geben, die an der Tat beteiligt war. Sowas hat Tradition, wurde schon beim Anschlag auf das Oktoberfest 1980 so gemacht. Und weil ja auch niemand diese Theorie ernsthaft anzweifelt, kann das auch weiterhin so gemacht und gemordet werden.
Natürlich wissen wir, dass sich die Nazi-Clans inzwischen überall organisiert und „eingegraben“ haben. Die Nazis sind bereit für die nächsten Mord Aktionen. Staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen tragen ihr Desinteresse offen zur Schau und machen so den Weg für diese Morde frei.
Bleibt die Frage, ob in Zukunft irgendjemand (vermutlich von außen kommend) den Nazis einen Strich durch die Rechnung machen wird Wie es scheint, werden alle weiterhin einfach abwarten. Bis zum nächsten Mord.
Café Morgenland, 24. Juli 2019