Einige Worte zu einer Veranstaltung „Unfinished Revolution“
Im vergangenen Jahr (2014) kam es in ganz Deutschland und in vielen europäischen Staaten zu einem Umschlag des antisemitischen Ressentiments in gewalttätige Übergriffe. Die Morde von Paris und Kopenhagen sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Auf Demonstrationen wurden Hamas Fahnen geschwenkt und „Kindermörder Israel“ Sprechchöre waren gängig. Diese Demonstrationen waren hierzulande in aller Regel aus der Deutschen Linken organisiert, aus deren Reihen der einseitigen Schuldzuweisung für diesen Krieg an Israel sich höchst vereinzelt entgegengestellt wurde. Die Verwendung der antisemitischen Sprache der „Palästina Solidarität“ blieb unhinterfragt. In mehreren Städten dagegen kam es zu gewalttätigen Übergriffen gegen Menschen, die solche Propaganda kritisierten. Das war die Zeit des Gaza Krieges.
Zur gleichen Zeit etwa brach sich die Erkenntnis Bahn, dass die progressiven und emanzipatorischen Momente der arabischen Revolutionen eine vernichtende und grausame Niederlage erlitten haben. Sie endeten oder laufen aus in Bürgerkriegen mit unfassbar vielen Toten in der Zivilbevölkerung oder in der Reetablierung autokratischer Regimes. Selbst in dem Ausgangsland des arabischen Frühlings, Tunesien, wo der jüngste Terroranschlag autoritäre Strömungen stabilisiert, bleibt die Zukunft ungewiss. Zeiten der Niederlage von Revolutionen sind auf allen Seiten Zeiten größter Grausamkeit; eine geschichtliche Wahrheit, welche immer gerne in Vergessenheit versinkt. Zu diesen Grausamkeiten zählt der Versuch der Vernichtung der Yesiden in Irak und Syrien und die Versklavung der Frauen und Kinder durch den IS.
Unkenntnis entschuldigt nicht die Zulassung antisemitischer Stereotype
Kulturelle und politische Linke in Deutschland, dem Land der industriellen Massenvernichtung von Jüdinnen und Juden und von Sinti und Roma, wie überall auf der Welt, sollten angesichts dieser oben genannten Ereignisse zutiefst besorgt sein über den Umschlagspunkt von Sprache in Gewalt und Massenmord. Da ist keine Indifferenz möglich. Sie kommt dennoch immer wieder in Anschlag. Israel ist der Staat der Jüdinnen und Juden. Als solcher ist er permanenten militärischen und paramilitärischen Angriffen ausgesetzt. Niemand hier in Deutschland mit Ausnahme der deutschen Juden und Jüdinnen und der Geflüchteten aus Bürgerkriegen oder sog. failed states hat eine wirkliche Vorstellung davon, wie das Menschenleben im permanenten Kriegszustand – lebenslang ausgehalten werden kann. Sehr viele in Deutschland – auch Linke haben aber eine ziemlich genaue Vorstellung davon, dass sie Opfer sind bzw. projizieren ihren vermeintlichen Opferstatus auf tatsächliche Opfer und die Täterschaft auf „Israel“. Es hat mit der kollektiven sehr deutschen Entschuldung der Shoah zu tun, wenn neue Täter eines neuen Massenmordes festgestellt werden. Diese Täter sind, welch Glücksfall einer deutschen Erinnerungspolitik, Juden und Jüdinnen.
Mit diesen Zeilen soll die Existenz des Staates der Jüdinnen und Juden verteidigt werden. Wie sehr das notwendig wird, ist nicht nur durch die oben geschilderten Kulminationspunkte, sondern ist auch anhand der Entwicklungen um die Veranstaltung „Unfinished Revolution“ sichtbar geworden. Eine breitere Debatte dazu hat sehr spät erst begonnen. Es besteht die Möglichkeit mit dieser spezifischen Veranstaltung, nicht nur der Niederlage der arabischen Revolution nicht ins Auge zu sehen, sondern sogleich, wie auch schon in vergangenen Situationen sich auf die Suche nach einem Ersatz zum verloren gegangenen revolutionären Subjekt zu begeben. (Das sogenannte „Feiern der Niederlage“). Diese Möglichkeit deutet sich mit mangelnder Kritik der verwendeten antisemitischen Ressentiments an. Der Raum von immer nur Israel- und nie Hamas-/Autonomiebehörden-Kritik als gesellschaftlicher Standard - hier offenbar des Tahir Platzes - ist bislang nicht befragt. Dort wo nicht gesehen wird, dass ein politischer Konflikt besteht, in dem die arabische/palästinensische Seite nicht einfach Opfer von Rassismus/Kolonialismus/Imperialismus/Nationalismus ist, sind gerade hiesige deutsche Interpretationsmuster die Regel.
Ein (mögliches) Problem der Veranstaltung „Unfinished Revolution“
Das ist, knapp angedeutet und aus dem Entwicklungsverlauf der deutschen nachachtundsechziger Linken gefolgert, auch ein (mögliches) Problem der Veranstaltung „Unfinished Revolution“ zu der auch die Band „Arabian Knightz“ eingeladen ist. Der Antisemitismus im Lied „Free Palestine“ der „Arabian Knightz“ und dem dazugehörigen Video ist eindeutig: Die Darstellung israelischer Politiker vor einem Hakenkreuz, die Textpassage „Ashkenazi“, die Bezug nimmt auf die „Ashkenasim“, vorwiegend osteuropäische Juden, die vor ihrer Einwanderung nach Israel oft nur knapp der Vernichtung durch die Shoah entkommen sind, ist kaum zu überbieten. Wenn eben diese jüdischen Einwanderer als „Plage“ tituliert werden, ist darin zumindest der sprachliche Rückgriff auf die industrielle Vernichtung durch Giftgas schon angelegt.
Diese Ignoranz gegenüber dem Antisemitismus in den Textzeilen der Band macht deutlich, dass eine historische Erkenntnis auch in weiten Teilen der deutschen Linken noch nicht durchgedrungen ist: Dass am Beginn der Shoah ein verschwörungtheorethisches Werk „Protokolle der Weisen von Zion“ steht, bis der Satz „Die Juden beherrschen die Welt“ von der übergroßen Volksmehrheit verinnerlicht und dann zur Tat umgesetzt ist. Zu einem Vortrag, der die Situation in Ägypten nach dem Aufstand vom Tahrir-Platz erhellen soll, eine Band einzuladen, die mit antisemitischen Stereotypen arbeitet, ist ein zustimmender Rückgriff auf reaktionäre Deutungsmuster der Situation in zahlreichen arabischen Staaten und läuft jeglichem Gedanken von gesellschaftlicher Emanzipation zuwider.
Radiogruppen im FSK Loretta und Projekt-r sowie die Jüdische Gemeinde Pinneberg