Vorab aus dem Transmitter für März 2014
Ist das die Stadt in der ich lebe?
(Olaf Scholz)
„Es ist ein Bild gezeichnet worden, das mit der Wirklichkeit Hamburg nichts zu tun hat. ... Dies ist eine liberale Stadt, eine soziale Stadt, eine Stadt die sich auf viele Weise Mühe gibt, daß jeder der hier sein Glück machen will auch eine Gelegenheit dazu findet. Wir wissen, ... daß manches Leben und gar nicht so wenige, sehr schwer verläuft und daß das immer wieder neue Diskussionen auslöst, die in dieser Stadt auch diskutiert werden müssen. Wir wissen aber auch daß gerade das es hier so viele unterschiedliche Lebensentwürfe gibt, daß die Möglichkeit unterschiedlicher Lebensentwürfe hier überhaupt besteht, einen großen Teil der Attraktivität der Hoffnungs- und Zukunftsstadt Hamburg ausmacht. Wir werden dieses Bild unserer Stadt verteidigen. Wir werden dafür sorgen, daß das Bild auch immer der Realität entspricht.“
So spricht der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg in der aktuellen Stunde des Landesparlaments am 23. Januar 2014. Zuvor wurde erstaunlich oft durch Vertreter_Innen verschiedener Parteien Bezug genommen, ob die Polizei das Leben der Menschen bestimmen würde und dürfe. Mit rasanter Geschwindigkeit hatte, was der Bürgermeister nicht wahrzunehmen bereit ist, der Himmel über Hamburg sich zugezogen und tief verdunkelt.
„Ich erwarte einfach von einem Senator der Freien und Hansestadt Hamburg zuständig als Präses der Innenbehörde, daß er hier an diesem Pult nicht nicht wissentlich und willentlich die Unwahrheit ... sagt. Denn daß Sie das hier so massiv gemacht haben, Herr Neumann, da darf einfach nicht der Eindruck entstehen, daß sie versucht haben, dieses Ablenkungsmanöver zu starten, ... darf eines aber auch nicht passieren: Daß der Eindruck entsteht, ... rechtlich und politische fragwürdige Sondergebiete und Sonderrechte der Polizei gerechtfertigt werden. Und da kommen wir zu einem sehr zentralen Punkt, über den wir bis heute, so schlimm das auch ist, keine Klarheit haben: Im Zuge der Ausweisung der Gefahrengebiete stand ganz zentral im Mittelpunkt die Behauptung der Polizeiführung, daß es einen politischen Angriff aus politischen Motiven auf die Davidwache gegeben hat und daß dabei dieser furchtbare Vorfall des Steinwurfs auf den Polizisten erfolgt ist. Wie es wirklich war, das wissen wir bis heute noch nicht; was wir aber sehr sicher wissen, daß die Behauptungen, die in dieser Pressemitteilung damals der Polizeiführung der Öffentlichkeit verkündet wurden, in weiten Teilen nicht zutreffen und wir noch klären müssen, ob überhaupt etwas in diesem Zusammenhang stimmt, so wie es dargestellt wurde. ... in einem Rechtsstaat darf auch nicht sein, daß ein Angriff auf einen Polizeibeamten in einen Zusammenhang gestellt wird, der so nicht stattgefunden hat um damit Sonderrechte in dieser Republik zu rechtfertigen ...“ Der Abgeodnete Jens Kerstan, ebenfalls in der aktuellen Stunde am 23. Januar 2014.
Herr Kerstan hat in seiner Rede vor dem Parlament somit den Innensenator als auch die Polizeiführung der Lüge beschuldigt. Es hat keinen Ordnungsruf und keine Richtigstellung dazu gegeben. Alle wissen es und es geschieht. Keine Presse sah sich veranlaßt hierauf einzusteigen. Der Polizei wird nicht nur in den Reden des Senats und der Regierungsfraktion Absolution erteilt, sie erhält mit 10 Mio Euro Sondermitteln zugleich eine politische Richtlinie, nach der für die Zukunft sie selbst die Innenpolitik entscheidend gestalten darf. Jedes ihrer angewendeten Mittel ist recht. Das ist nicht wirklich neu für Hamburg – neu ist die unverblümte Offenkeit mit der die Gewaltenteilung hier aufgehoben ist.
Was geschieht in dieser Stadt? Sie wird von einer Partei regiert, deren Mitgliedschaft sich untereinander so sehr verhaßt ist, daß sie es nötig hatte, bei einer Urwahl 1000 Stimmzettel verschwinden zu lassen, so das diese Wahl abgebrochen und für ungültig erklärt werden mußte. Sie, Hamburg, ist eine Stadt, welche sich in der Krise wähnt. Krise ist die Zeit des Populismus und die Zeit der Reaktion. Kai-Voet van Vormizeele, innenpolitischer Sprecher der CDU Bürgerschaftsfraktion hatte sich in zwei wiederkehrenden Äußerungen des vergangenen Jahres zum Definator des Urteils über die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ gemacht: Zum einen würde diese Gruppe beanspruchen, Politik zu machen; zum zweiten hätten die Mitglieder dieser Gruppe (in einer Sendung eines privaten Radiosenders) Rechte beansprucht. Herr van Vormizeele hat bei diesen Äußerungen wahrscheinlich nicht so wirklich viel nachgedacht. Er scheint eher seinen Impulsen gefolgt sein. Dem gesunden Volksempfinden eben. Wo kämen wir hin, wenn Flüchtlinge Politik machen dürften, wenn sie arbeiten dürfen sollten. Unsere Normalität stünde zur Disposition.
In diesem Kontext sind die politischen Auseinandersetzungen des vergangenen Jahres begründet. Aus tiefsten hanseatischen Herzen wurde in der „Hamburger Presserunde“ Anfang Dezember gesprochen: „ ... Das was wir auf unseren Straßen heute an Barmherzigkeit und an Nächstenliebe erleben, das sind bulgarische Profibettler, die uns abzocken und das sind Unterstützer von sogenannten Lampedusa Flüchtlingen die auf unsere Nächstenliebe spekulieren. Und auf den Straßen findet dann statt ein Machtkampf zwischen Konsumterroristen, ein politischer Meinungskampf garniert mit jeder Menge besoffenen Glühweinständen. Das kann nicht mein Weihnachten sein.“ Neben der ganz sachlichen Darstellung des Denkens zu Menschen im Elend, zu Menschen, die ihre Rechte einfordern wird in dieser Darstellung Glanz und Elend des Reichtums vermittelt. Das aber nur nebenbei und bei Erinnerung an obige Scholz Passage: „daß manches Leben und gar nicht so wenige, sehr schwer verläuft“.
Bleiben wir bei der Wahrnehmung jener Unverschämtheit, die darin besteht, daß Flüchtlinge sich das Recht herausgenommen haben, politisch für sich selbst zu sprechen und sich selbst zu vertreten: "Es ist Zeit für ein klares Signal gegen die Gewalt, die hier Linksextremisten Autonome in der Stadt machen. Die sich aufgebaut hat schon vor Weihnachten jeden Samstag." (Dietrich Wersich, CDU Fraktionsvorsitzender.) Jeden Samstag vor Weihnachten, mit Ausnahme des Letzten - aus Angst vor Gewalt - hatten die Lampedusa refugees demonstriert. Geschlagen werden "Linksextremisten Autonome". Gemeint sind die Lampedusa refugees, welche die Frechheit besitzen ein demokratisches Grundrecht, welches nicht einmal Biodeutschen mit Ausnahme von Nazis vorbehaltlos zu gewähren ist, in Anspruch zu nehmen.
Von den Äußerungen des Herrn van Vormizeele, dem deutschen Herzen in der Hamburger Presserunde über den zitierten CDU Gewaltdiskurs: von Mai bis Dezember 2013 füllt sich die konservativ-reaktionäre Vorbereitung auf den geschichtsträchtigen 21. Dezember. Einige Zitate dazu, wie dieses Geschichtsbuch vorläufige Vollendung findet:
F.A.Z.: „Zum anderen ist „Solidarität“ etwa mit Lampedusa-Flüchtlingen, in deren Namen die Chaoten auch auftreten, vielen Hamburgern wichtig. Die „Rote Flora“ ist überdies eine Touristenattraktion geworden – und Sinnbild antikapitalistischer Gesinnung. Aber wie dem auch sei, die Chaoten suchen nur Deckung hinter politischen Forderungen, um ihre Lust auf Gewalt auszuleben. Die Politik spielte dabei immer mit, die Medien taten es auch.“
Verfassungsschutz: „Eine Art Kipppunkt für eine neue und starke Mobilisierung der linksradikalen Szene ist nach Einschätzung des Verfassungsschutzes der Beginn der Kontrollen der Hamburger Lampedusa-Flüchtlinge im Herbst gewesen. "Der veränderte Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen seit Oktober hat zusätzliche Emotionen ins Spiel gebracht", so Murck. "Die Hamburger Autonomen haben danach in etwa 20 Veranstaltungen bundesweit über die Lage in Hamburg berichtet und ihr gesamtes Netzwerk mobilisiert."
Staatsschutz: “Linksextremisten hätten es in den vergangenen Monaten geschafft, mit Themen wie den Lampedusa-Flüchtlingen, Esso-Häusern und Roter Flora sowie dem klaren Feindbild einer "rassistischen" Polizei viele Jugendliche zu politisieren. ... heißt es in dem Geheimpapier, das "nur für den Dienstgebrauch" bestimmt ist. Es ist ... die bislang völlig fehlende Konsequenzen, die den Linksextremisten das Gefühl gibt, auf eine Erfolgswelle zu schwimmen, so ist die Einschätzung der Staatsschutzabteilung. ... Reagiert hat die Polizei bereits mit der Einrichtung eines umfangreichen Gefahrengebietes, das eine Schutzzone um drei Polizeiwachen bildet und die Stadtteile der linken Szene, St. Pauli und Sternschanze umfasst.
DIE WELT: „"Jahrelange Duldung erzeugt falsches Rechtsbewusstsein"“
Dieses ist der dunkle Hamburger Himmel. Eine Stadt, in der „ (es) so viele unterschiedliche Lebensentwürfe gibt, daß die Möglichkeit unterschiedlicher Lebensentwürfe hier überhaupt besteht ...“ zu keinem Zeitpunkt das Ergebnis von Regierungshandeln, vielmehr der erkämpfte Erfolg der „vielen Lebensweise“. Meist gegen die Polizei und gegen die herrschende Meinung mit ihrem Bild der Realität der Stadt.
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