Die Kolumne von Café Morgenland; August 2013:
Berlin-Hellersdorf: Eine logistische Herausforderung
Sich darüber aufzuregen, dass wiedermal irgendwo in Deutschland (in diesem Fall in Berlin-Hellersdorf), der deutsche Mob sich ankündigt und bildet, um eine Flüchtlingsunterkunft und die Flüchtlinge anzugreifen – soll heißen, das ehemalige Schulgebäude in Brand zu setzen, die dort Untergebrachten zu vertreiben oder im besten Fall zu ermorden – lohnt sich nicht. Man müsste sich den Vorwurf gefallen lassen, sich künstlich aufzuregen oder keine Ahnung zu haben wo und in welcher Gesellschaft man die ganze Zeit gelebt hat.
Sich mit Analysen zu Vorder- oder Hintergründen dieser periodisch auftretenden deutschen Verhaltensweisen aufzuhalten lohnt sich nur dann, wenn man dafür bezahlt wird – beispielsweise als Journalist, Soziologe, Politologe oder vergleichbares. Ein Antirassismus der verstehen möchte womit er es zu tun hat wäre in Deutschland eine wenig ertragreiche Freizeitbeschäftigung. Die Anzahl möglicher sinnvoller Handlungen ist hier gering. Aufklären, „die Menschen dort abholen wo sie stehen“, kritisieren, appellieren, sich empören, widerstehen, Position beziehen gegen Kapital und Kapitol, Unmut äußern, ermahnen und ermutigen, gegen den Strich Bürsten usw. das alles bleiben Tätigkeiten ein und derselben Gemeinschaft, die man auch in ihren emanzipatorischen und linken Äußerungsformen beim Wort nehmen sollte.
Spätestens seit den volksfestartigen Versammlungen der deutschen Haushalte vor Flüchtlingsheimen, Wohnhäusern und Einrichtungen von Juden und Migranten in den 1990er Jahren empfiehlt es sich in Deutschland eine Ebene des bloßen Austausch von Meinungen und Argumenten nicht von einer Ebene der Taten zu unterscheiden. Die Deutschen selber sind hier stets um Anschaulichkeit bemüht.
Es gilt also, nüchtern zu bleiben. Es gilt, sich nicht in Überlegungen zu verlieren, die ein tiefergehendes Verständnis dessen was die alltägliche Erfahrung in Deutschland bietet als Grundlage für ein richtiges Handeln voraussetzen. Bereits vor Jahren – als Mord und Totschlag sich nach einigen Jahren außenpolitisch bedingter Erschöpfung wieder als gewöhnliche deutsche Freizeitbeschäftigung zu etablieren begannen – fanden wir es angemessener, sich zunächst darauf zu konzentrieren „die Kosten für das Ausleben des Rassismus möglichst hoch zu treiben“. Dazu gab es stets unterschiedliche Erwägungen – jede für sich eine eigentümliche logistische Herausforderung. Einige jüngere lokale Geschichtsschreibungen können von der besonderen Wirksamkeit der unmittelbaren physischen Konfrontation berichten. Allein das Wissen um die reale Möglichkeit, dass rassistische Alltagspraktiken auch für Deutsche mit Personen- und Sachschäden verbunden sein können, trägt vielerorts dazu bei, dass Migranten verhältnismäßig reibungslos ihren alltäglichen Verrichtungen nachgehen können. Doch wir sind auch von der Wirksamkeit anderer pazifistischer Lösungen überzeugt, die nicht zwangsläufig die Erfahrung, dass die vorgesehenen Opfer auch auf unkalkulierbare Weise zurückschlagen können zur Grundlage haben müssen.
Viel Hässliches könnte bereits heute vermieden werden durch eine planmäßige Evakuierung der autochthonen Hellersdorfer Gemeinde – vielleicht in Gänze, vielleicht nur Teile, über ein Bleiberecht für Härtefälle wäre zu reden. Uns ist bewusst, dass dieser Vorschlag einige nicht einfach zu lösende Schwierigkeiten mit sich führt. Ein Beispiel: Wohin nur mit diesen ganzen Leuten? Wobei dies noch eines der leicht lösbaren Probleme sein dürfte. Wir kennen eine ganze Menge geeigneter Aufnahme-Ortschaften: Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen oder Goldberg um nur einige Beispiele zu nennen. Lauter vertraute Umgebungen, wir sind ja keine Unmenschen, zumal es an solchen geeigneten Orten in Deutschland nicht mangelt. Ganze nationalbefreite Landstriche stehen zur Verfügung.
Unser Vorschlag ist moralisch über jeden Zweifel erhaben. Das sagen wir in aller Bescheidenheit. Denn die Hellersdorfer Ureinwohner haben offen und ehrlich gezeigt, dass mit der Einhaltung einiger für Deutschland verlustreich erkämpfter minimaler zivilisatorischer Standards nicht zu rechnen ist. Sie stellen eine akute Gefahr für die neuen Anwohner dar, was inakzeptabel ist. Und da es sich um keine abstrakte, sondern um eine sehr konkrete Gefahr für eine exakt definierte Gruppe von Menschen handelt, ist auch eine sehr dringliche Gefahrenabwehr erforderlich. Es ist wie wenn eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden und entschärft werden soll. Allerdings mit dem Unterschied, dass dieser explosive Stoff – um im Vergleich zu bleiben – nicht vor Ort entschärft werden kann. Die um Harmlosigkeit konkurrierenden Solidaritätsbekundungen der Gutdeutschen bezeugen das.
Der Charme der von uns angetragenen Lösung besteht unter anderem darin, dass die in der Folge leergewordenen Häuser und Wohnungen, nicht nur für 200 sondern für ziemlich genau 76.606 Menschen Unterkunftsmöglichkeiten bieten würden. Bedenkt man zudem die drastische Verringerung der für Nazis und andere Deutsche spezifischen Milieukriminalität, sowie ein damit einhergehender Zuwachs an Sicherheit und Angstfreiheit für die neuen Bewohner, so tun sich faszinierende, geradezu paradiesische Perspektiven auf.
Die Realisierung unseres Vorschlags könnte beachtliche bundesweite Nebenwirkungen zur Folge haben: Gleich nach Bekanntgabe der Evakuierung würde die indigene Bevölkerung verschiedener Ortschaften anfangen zu überlegen ob sie die Flüchtlinge nicht lieber mit offenen Armen empfangen möchte, anstatt mit angezündeten Fackeln. Billstedt, Insel, Wolgast, Eilendorf, Möhlau/Vockerode, Wandlitz, Wittenau, Krombach in Unterfranken, Dortmund-Hörde, Wahren in Leipzig, Hacheney im Ruhr-Gebiet, Putzbrunn/Ottobrunn bei München, Reichertshofen in Oberbayern und viele, viel zu viele Orte mehr, in denen vielleicht in Betracht gezogen werden würde, dass die Folgekosten höher ausfallen könnten als das rassistische Vergnügen selber.
Mit Gegenwind für eine solche Maßnahme ist zu rechnen. Auch von links. Aufrufe zum Differenzieren, zum Erkennen, dass nicht alle so sind, dass es darum gehe die Widersprüche aufzugreifen, dass man wen oder was die Möglichkeit geben sollte, etwas sagen zu dürfen. Dem sollten wir gelassen entgegensehen. Nicht allein weil seit Wochen und Monaten – sofern gewünscht – die Gelegenheit bestanden hätte etwas zu unternehmen, wie zum Beispiel den Gemeindefrieden zu stören oder die gute Nachbarschaft aufzukündigen, etwas alarmierendes oder unanständiges zu tun, oder Angst um Immobilienwerte zu verbreiten. Nein, wir sind durchaus von der Mannigfaltigkeit der deutschen Seinsweisen überzeugt, sowie davon, dass es solche und solche gibt. Wir sind die letzten, die eine Vielfältigkeit des Umgangs der Deutschen mit ihren Ausländern leugnen würden. Zwischen fürsorglicher Betreuung und Hinrichtungen am Arbeitsplatz (Imbiss- und Gemüse-Stände bevorzugend) gibt es sicher noch einiges auszuschöpfen.
Wir selber sind eingestandenermaßen in dieser Angelegenheit wenig experimentierfreudig. Wir halten uns lieber an die vielleicht einzige praktisch relevante Lehre, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat: Erst als ihre Städte bombardiert und ihre Häuser in Schutt und Asche gelegt wurden, erst als sie besiegt und erniedrigt wurden, erst als sie sich in kleine Würstchen verwandelten, die sich nicht mehr an die genauen Umstände des Geschehenen erinnern konnten, kam den Deutschen der Gedanke, ihrer Verhalten einigermaßen bändigen zu müssen, um die gegen sie gerichtete Sanktionen zu vermeiden. Obgleich es sich hier vermutlich um einen bloßen Fall operativer Konditionierung handelt, verstehen wir unseren Vorschlag als Ausdruck einer Überzeugung, dass auch heute entsprechende Einsichten erzeugt werden können.
Café Morgenland, 25. August 2013