bnr.de: Im Dienste zweier Herren

Von Anton Maegerle
27.12.2011

In der rechtsextremen Szene sind hunderte V-Leute für die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern tätig. Zahlreiche Spitzel sind im Laufe der Jahrzehnte bereits aufgeflogen.

Der Einsatz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene ist in der Politik umstritten, ihr Nutzen ist fraglich. Geheimdienste halten die Spitzel in der Regel für unverzichtbar. Ein 2003 eingeleitetes Verbotsverfahren gegen die NPD wurde wegen der vielen V-Leute von Karlsruhe allerdings zurückgewiesen. Um ein erneut angestrebtes NPD-Verbotsverfahren nicht wieder zu gefährden, fordern Politiker wie der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann einen Zeitplan für den Abzug der V-Leute in der rechtsextremen Partei. In deren Reihen sollen rund 130 Spitzel zugange sein. Auch im Umfeld des Neonazi-Terrortrios um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tummelten sich zeitweilig mehrere V-Leute. Dennoch konnte die Neonazi-Untergrundzelle fast 14 Jahre lang morden, Banken überfallen und Sprengstoffanschläge durchführen.

In einem Interview erklärte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, kürzlich, dass die Spitzel kein „perfektes Instrument“ darstellen würden. Die „Annahme, dass V-Leute nur etwas taugen, wenn sie überall sind, alles erfahren und mitteilen“, sei „lebenfremd“, so Fromm.
Mit Wissen der Behörde Waffengeschäfte vermittelt

Zahlreiche Spitzel in der rechtsextremen Szene sind im Laufe der Jahrzehnte bereits aufgeflogen. Bnr.de gibt einen chronologischen Einblick in die Liste enttarnter V-Leute:

Wolfgang Frenz (Solingen) war von 1961 bis 1995 als V-Mann für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz auf verschiedenen Ebenen in der NPD zugange. Frenz amtierte bis 1998 als NPD-Bundesvorstandsmitglied und bis 2002 als NPD-Landesvize in NRW.

Werner Gottwald (Oldenburg, Niedersachsen) spitzelte von 1973 bis 1977 für das Bundesamt für Verfassungsschutz und vermittelte mit Wissen der Behörde Waffengeschäfte. Gottwald soll unter anderem Faustfeuerwaffen, Maschinenpistolen, Handgranaten und Plastiksprengstoff im Wert von cirka 250.000 Euro für die Szene geordert haben.

Mitte der 70er Jahre war Hans-Dieter Lepzien (Peine, Niedersachsen) für das niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz tätig. Der damalige V-Mann Lepzien, Mitglied der NSDAP/AO, war am Bau von Bomben beteiligt, die am 2. September und 3. Oktober 1977 vor Justizgebäuden in Flensburg und Hannover explodierten. Lepzien wurde deswegen zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, musste den Gang in den Knast jedoch nicht antreten.
Spezialgebiet Südtirol

Udo Holtmann (Wuppertal, Nordrhein-Westfalen), vormals langjähriger NPD-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen und NPD-Bundesvorstandsmitglied, war von 1978 bis 2002 Zuträger für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Holtmann soll mit Wissen der NPD-Führung vom Verfassungsschutz angeworben worden sein.

Peter Weinmann (Bonn) arbeitete von den 70er bis in die 90er Jahre für verschiedene Dienste. Neben seinem Einsatz für das Bundesamt für Verfassungsschutz war er für das Ministerium für Staatssicherheit und den italienischen Geheimdienst SISMI zugange. Als sein Spezialgebiet galt Südtirol.

Stefan Dedolf (Northeim, Niedersachsen), damals Aktivist der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), war von 1983 bis 1988 für das Landesamt für Verfassungsschutz in Niedersachsen tätig.

Klaus Blome (Bremen) wurde mit seinem Einzug in die Bremer Bürgerschaft 1991 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Quelle abgeschaltet. Zuvor hatte er jahrelang die Deutsche Volksunion (DVU) ausgeforscht.
Verdächtige vor Hausdurchsuchungen gewarnt

Bernd Schmitt (Solingen, Nordrhein-Westfalen), Inhaber der Kampfsportschule „Hak Pao“ in Solingen, trainierte die Brandanschlagsmörder von 1993 in Solingen. Zu diesem Zeitpunkt stand Schmitt in Diensten der nordrhein-westfälischen Verfassungsschützer. Der damalige NRW-Innenminister Herbert Schnoor musste später zugeben, dass der V-Mann verdächtige Neonazis vor Hausdurchsuchungen gewarnt hatte.

Bela Ewald Althans (München, Bayern) war nach dem Tod von Michael Kühnen im Jahr 1991 einer der bedeutendsten Neonazis und Strippenzieher im Lager der Holocaust-Leugner. Von 1991 bis 1994 bespitzelte Althans für den bayerischen Verfassungsschutz die braune Szene.

Der antisemitische Hetzer Thomas Dienel aus Erfurt, Deckname „Küche“, zeitweiliger NPD-Landesvorsitzender in Thüringen, war 1996/1997 für das dortige Landesamt für Verfassungsschutz tätig.

Mike Layer (Stuttgart), Deckname „Fritz“, arbeitete als Mitglied der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten dem baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz 1996/97 zu. Nach seiner VS-Tätigkeit wurde Layer zum JN-Landesvorsitzenden in Baden-Württemberg gekürt.
Am Vertrieb der „Landser“-CD mitgewirkt

Michael Grube (Wismar), betätigte sich von 1997 bis 1999 als Zuträger für das Landesamt für Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern. Der zeitweilige Wismarer NPD-Kreisvorsitzende und NPD-Landtagskandidat beteiligte sich im März 1999 an einem Brandanschlag auf eine Pizzeria in Grevesmühlen. Mit Wissen des Verfassungsschutzes gründete Grube im Januar 1999 die Sozialistische Volkspartei.

Mirko Hesse (Langburkersdorf, Sachsen) war Führer der sächsischen „Hammerskins“, Rechtsrock-Dealer und V-Mann für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Während seiner Spitzel-Zeit Ende der 90er Jahre wirkte er an der Produktion und dem Vertrieb der CD „Ran an den Feind“ der inzwischen verbotenen Combo „Landser“ mit. Auf der „Landser“-CD wird zur Gewalt gegen Bundestag und Bundesregierung aufgerufen, Migranten mit Mord gedroht und „Bomben auf Israel“ propagiert.

Carsten S. (lebt heute unter neuer Identität) arbeitete Ende der 90er Jahre unter dem Decknamen „Piato“ für das brandenburgische Landesamt für Verfassungsschutz. S. nahm 1994 aus der Untersuchungshaft Kontakt mit den Verfassungsschützern auf. Im Folgejahr wurde er wegen gemeinschaftlich begangenen versuchten Mordes zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Anfang 1997 wurde S. bereits in den offenen Strafvollzug übernommen. Er berichtete zunächst aus der militanten Szene. 1999 trat S. in die NPD ein. Wenige Wochen später wurde er als Beisitzer in den brandenburgischen NPD-Landesvorstand gewählt.
„Irgendwann muss man kämpfen“

Marcel Degner (Erfurt, Thüringen) war einer der Kader von „Blood&Honour“, denen das Bundesinnenministerium im September 2000 die Verbotsverfügung zustellte. Seine Spitzeltätigkeit übte Degner in den Jahren von 1996 bis 2000 aus. 1996 war Degner einer der Organisatoren einer Fahrt von Neonazis zur Gedenkstätte Buchenwald. Über den Gedenkstättenbesuch der Neonazis wurde in den Medien bundesweit berichtet, da die braune Horde in der Gedenkstätte randalierte.

Matthias Meier (Stralsund), zeitweilig Stralsunder NPD-Kreisvorsitzender und NPD-Landespressesprecher in Mecklenburg-Vorpommern, arbeitete von 1998 bis 2000 als V-Mann für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Meier soll laut Medienberichten Neonazis 1999 gedrängt haben, „in einer paramilitärischen Gruppe Wehrsportübungen“ durchzuführen.“ „Irgendwann muss man kämpfen“, so Meier.

Tino Brandt (Rudolstadt), Deckname „Otto, ist zwischenzeitlich bundesweit bekannt. Brandt stand von 1994 bis 2001 in den Diensten des thüringischen Verfassungsschutzes und hatte enge Kontakte zu den Mitgliedern der späteren Neonazi-Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).

Toni Stadler (Guben, Brandenburg) war NS-Devotionalienhändler und Rechtsrock-Dealer. In den Jahren 2001/02 arbeitete er dem Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg zu. Während seiner Spitzelzeit war Stadler Vertriebschef der Band „White Aryan Rebels“ (WAR). WAR rief in ihrer CD „Noten des Hasses“ zum Mord unter anderem an Alfred Biolek und Michel Friedman auf.

Peter Viola (Hamm, Nordrhein-Westfalen), Aktivist der Jungen Nationaldemokraten, soll 2001/02 für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz gespitzelt haben.
Als Aktivistin bei „Europaen Brotherhood Radio“

Bastian Tilger (Lübeck) stellte während seiner Zeit als V-Mann für den schleswig-holsteinischen Verfassungsschutz auf einem Friedhof eine überdimensionale Hitler-Gedenktafel auf. 2002 wurde Tilger, zeitweilig schleswig-holsteinisches NPD-Landesvorstandsmitglied, enttarnt.

Michael Wobbe (Braunschweig, Niedersachsen) flog 2002 als V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes auf. Wobbe war Sicherheitschef der 1992 wegen Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus verbotenen Neonazi-Truppe Nationalistische Front (NF).

Sebastian Seemann (Lünen, Nordrhein-Westfalen) wurde von 2004 bis 2007 von nordrhein-westfälischen Verfassungsschützern als V-Mann in der Neonazi-Szene geführt. Zum Zeitpunkt seines Outings saß Seemann wegen Kokainhandels in U-Haft. Gegen Seemanns leitenden V-Mann-Führer ermittelte die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft wegen Strafvereitelung und Geheimnisverrat.

Doris König alias „Sandra Franke“ (Soltau, Niedersachsen) wurde 2008/09 vom niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz als V-Frau geführt. König war eine der maßgeblichen Aktivistinnen des Neonazi-Senders „Europaen Brotherhood Radio“ . Dort verbreitete sie unter ihrem Pseudoym „Gefjon“ übelsten Antisemitismus und Holocaust-Leugnung.

Robert Nagels (Oberhausen, Nordrhein-Westfalen), vormals langjähriges Landesvorstandsmitglied der Republikaner in Nordrhein-Westfalen sagte im April 2009 vor dem Landgericht Düsseldorf aus, dass er seit 1988 für den Verfassungsschutz tätig gewesen sein will.

(Aus "Blick nach rechts")
http://www.bnr.de/artikel/hintergrund/im-dienste-zweier-herren

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