Hausdurchsuchung bei Hamburger Radiosender FSK war verfassungswidrig

P R E S S E M I T T E I L U N G
Hamburg, 5. Januar 2011

­Polizei und Justiz verletzten bei Vorgehen gegen das Freie Sender Kombinat die Rundfunkfreiheit.

Erfolgreiche Beschwerde des Hamburger Radiosenders Freies Sender Kombinat (FSK) beim Bundesverfassungsgericht: Wie das Gericht heute, am 5. Januar 2011 mitteilte, stellten die Durchsuchung der Räume des Radiosenders und die Sicherstellung von Redaktionsunterlagen einen Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit dar und waren somit verfassungswidrig (Aktenzeichen 1BvR 1739/04 und 1BvR 2020/04).

Am 25. November 2003 verschafften sich zwei Hundertschaften Polizei, Staatsanwaltschaft und Staatsschutz Zutritt zu den Räumen des lokalen Radiosenders und riegelten ihn einen Nachmittag lang von der Außenwelt ab. MitarbeiterInnen des Senders wurden daran gehindert, ihrer Arbeit nachzugehen, zudem übte die Polizei direkte Zensur aus: Ordnungshüter bezogen in voller Kampfmontur im Sendestudio Stellung und drohten damit, „den Saft abzudrehen“, sobald ein Wort über die Polizeiaktion über den Äther ginge.
Anlass für die Durchsuchung war ein Telefon-Interview, das ein FSK-Redakteur ein paar Wochen zuvor mit einem Polizeipressesprecher geführt und ohne dessen ausdrückliches Einverständnis aufgezeichnet und gesendet hatte. Dienen sollte der überfallartige Besuch der Einsatzkräfte angeblich allein der Beweissicherung: Man suchte den Tonträger, auf dem das Interview aufgezeichnet worden war.

Der Fall erregte damals in Hamburg und bundesweit einiges Aufsehen, zumal der verantwortliche Redakteur vom Hamburger Amtsgericht zunächst zu einer Strafe von 80 Tagessätzen verurteilt wurde. Soviel hatte das Gericht kurz zuvor für versuchten Totschlag verhängt. 2006 ging das Verfahren gegen den Redaktuer recht unspektakulär zuende: Er wurde zu 40 Tagessätzen verurteilt, die er nur im Wiederholungsfall zu zahlen hätte. Damit erkannte auch das Gericht an, dass dem massiven Polizeieinsatz eine Bagatelle zum Anlass diente und der Redakteur straffrei bleiben solle.

Beschwerden des Senders über die Anordnung der Durchsuchung und das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft bei Hamburger Gerichte blieben erfolglos. Die 1. Kammer des ersten Senates des Bundesverfassungsgerichtes jedoch stellte nun fest, dass sowohl der Einsatz von Polizei und Staatsanwaltschaft als auch seine spätere Rechtfertigung durch das Hamburger Amts- und Landesgericht die Rundfunkfreiheit des Freien Sender Kombinats verletzten. Das Grundrecht auf Rundfunkfreiheit, so das Gericht, umfasse die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit. Staatlichen Stellen sei es grundsätzlich verwehrt, sich Einblick in die redaktionellen Abläufe zu verschaffen. Die Durchsuchung des Senders, die Mitnahme von Unterlagen und die Ablichtung der Räumlichkeiten verletzten diesen Schutz der Vertraulichkeit und somit die Rundfunkfreiheit. In seiner Entscheidung stellt das Bundesverfassunggericht fest, dass das Fotografieren und das Anlegen von Grundrissskizzen der Räume in keinem Zusammenhang mit den Ermittlungen standen, deretwegen man sich Eintritt in den Sender verschafft hatte. Man machte sich nicht einmal die Mühe, den Fundort der angeblichen Beweisstücke, die man aus den Redaktionsräumen mitnahm, in die Skizzen einzutragen. Damit unterstreicht das Gericht den Eindruck, den Mitarbeiter des Freien Sender Kombinats schon direkt nach der Durchsuchung äußerten: Ihr Zweck war allein die Ausforschung des Projektes.

Sowohl in der Entscheidung der Durchsuchung als auch in ihrer Prüfung durch die Hamburger Gerichte, so das Bundesverfassungsgericht weiter, sei keine tragfähige Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes zu erkennen gewesen. Die zugrunde liegende Tat sei nicht so schwer wiegend gewesen, dass sie „erhebliche Eingriffe in die Rundfunkfreiheit rechtfertigen kann“. Zudem hätten bei einer Abwägung nicht nur die Auswirkungen auf den laufenden Sendebetrieb in Betracht gezogen werden müssen, sondern die längerfristigen Folgen: Diese seien zum einen die „Störung des Vertrauensverhältnisses der Rundfunkanstalt zu ihren Informanten“. Darüber hinaus aber kann „von einer uneingeschränkten Durchsuchung eine erhebliche einschüchternde Wirkung auf das betroffene Presseorgan ausgehen“. Eine solche Einschüchterung, führt das Verfassungsgericht aus, kann geeignet sein, „die Bereitschaft der Redaktion oder einzelner an der Tat nicht beteiligter Redaktionsmitglieder erheblich zu beeinträchtigen, in Zukunft auch staatliche Angelegenheiten zum Gegenstand kritischer Recherchen und Berichterstattung zu machen.“

In seinen Entscheidungen bemängelt das Gericht weiter, dass nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft die Reichweite und Bedeutung der Pressefreiheit grundlegend verkannt hatten und zu keinem Zeitpunkt weniger brachiale Ermittlungsmethoden in Erwägung zogen. Festgestellt wird darüber hinaus ein Versagen der Hamburger Gerichte. Sie hätten die Aufgabe gehabt, Polizei und Staatsanwaltschaft zu kontrollieren und in die grundrechtlichen Schranken zu weisen. Das Bundesverfassungsgericht führt den Hamburger Gerichten nun vor, dass sie sowohl bei der Bewilligung der Durchsuchung als auch bei der Abweisung der Beschwerden des FSK nahe liegende verfassungsrechtliche Vorgaben nicht beachtet hatten – oder aber nicht beachten wollten.

Torsten Michaelsen, Mitglied des Vorstandes der AnbieterInnengemeinschaft im FSK e.V.:

„Wir begrüßen die Entscheidung des Verfassungserichtes und freuen uns insbesondere über seine Feststellung, dass von der völlig unverhältnismäßigen Razzia eine einschüchternde Wirkung hätte ausgehen können. Damit benennt das Gericht den eigentlichen Zweck, den der Großeinsatz im Sendestudio hatte. Der Hamburger Polizei ist die kritische Recherche und Berichterstattung des Freien Sender Kombinats seit über 10 Jahren ein Dorn im Auge. Immer wieder hat der Sender über das unverhältnismäßige Vorgehen der Ordnungskräfte, zum Beispiel bei Demonstrationen, berichtet. Kaum verwunderlich, dass die Polizei die erste sich bietende Gelegenheit nutzte, um auf ihre Art zurückzuschlagen und zugleich die Strukturen des Projektes auszuspähen. Damit ist sie auf ganzer Linie gescheitert: Die Verfassungswidrigkeit ihres Vorgehens ist festgestellt worden. Und einschüchtern hat sich das Freie Sender Kombinat ohnehin nicht lassen.“

Rechtsanwalt Carsten Gericke:

„Das Fotografieren und Erstellen von Grundflächenskizzen war Ausforschung pur und stand in keinem Zusammenhang mit dem seinerzeitigen Vorwurf. Das hat das Gericht in seiner Entscheidung eindeutig festgestellt. Nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft haben die Reichweite und Wirkkraft der Pressefreiheit grundlegend verkannt, sondern auch die zu ihrer Kontrolle berufenen Fachgerichte. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht hebt dies in seiner Entscheidung hervor und erteilt der Hamburger Justiz eine Lehrstunde in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit.“

Pressekontakt:
presse [at] fsk-hh [dot] org

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