100 Jahre Abschiebehaft: Glückwunsch!

Die Mai 2019 Kolumne von Café Morgenland
100 Jahre Abschiebehaft: Glückwunsch!
- übersetzt in der Sprache der Eritreer: Yohanna, Das ist der Name der Frau, die dann die Nummer 288 bekam, ihr Kind wurde mit der Nummer 289 registriert. Von den 368 Menschen, die an jenem Abend des 3. Oktobers 2013 vor der Insel Lampedusa ertranken, waren 108 im Innern des gekenterten Kutters eingeschlossen. Darunter eine etwa 20-jährige Frau aus Eritrea, die noch ein Kind geboren hatte. Rettungstaucher fanden das tote Baby, noch an der Nabelschnur, in ihrer Strumpfhose. Leider hatten Yohanna und ihr Kind kein Glück.
Welches Glück?
- eine wärmende Decke in der kalten Nacht zu haben?
- das Glück, rechtzeitig vor dem Ertrinken, gefunden zu werden?
- das Glück, dass ihnen ein Arzt zur Seite gestanden hätte?
- das Glück, nicht in einem Schiffsbauch zu ertrinken und die Gewissheit zu haben, dass das Kind, auf das sie sich gefreut hat oder nicht ebenfalls sterben wird?
- das Glück, in einem anderen Land geboren zu sein und sich deswegen nicht auf die Flucht begeben zu müssen, die für so viele Menschen tödlich endet. Nach Zahlen von Pro Asyl: ein tödliches Ende für 6 von 100 Geflüchteten.

2014 starben weltweit auf der Flucht.6.305 Menschen
2015: waren es 5.286
2016: waren es 8.057
2017: waren es 6.142.

Welches Glück also fehlte Yohanna?
Ich verrate es euch. Es wäre für sie immer unerreichbar gewesen. Es ist das Glück, der Gnade der Geburt. Dieses Glück, das Yohanna und ihrem Kind fehlte, fehlt genauso auch den Menschen, die hier in Eichstätt, in der Abschiebehaftanstalt gleich auf der anderen Straßenseite eingesperrt sind. Seit 2 Jahren werden unschuldige Menschen, die nur ihr Recht auf Asyl geltend machen wollen, die nur in Frieden und Sicherheit leben wollen und es trotz aller Gefahren geschafft haben, sich nach Deutschland zu retten, hier in Eichstätt inhaftiert. Vor zwei Jahren wurde die unsägliche Abschiebehaftanstalt, gegen die wir heute hier demonstrieren, in Eichstätt eröffnet.
Das Gefängnis steht in einer rassistischen Tradition, die es in Deutschland schon seit1919 gibt. Seit 100 Jahren gibt es die Abschiebehaft in Deutschland. Das erste Abschiebegefängnis entstand 1920 gleich hier in der Nähe, in Ingolstadt. Seine Aufgabe: die antisemitischen Forderungen der Bevölkerung umzusetzen. Osteuropäische Jüdinnen und Juden, die in Folge des ersten Weltkrieges meist staatenlos nach Westeuropa gekommen waren, wurden in Ingolstadt interniert, und von dort aus Deportiert.
Internierung mit dem Ziel der Deportation ist auch heute die Funktion des Abschiebegefängnisses in Eichstätt, dem zweitgrößten Deutschlands. Die Inhaftierten haben sich keines Verbrechens schuldig gemacht! Zur Inhaftierung reicht der „begründete Verdacht“ aus, dass sich jemand möglicherweise seiner Abschiebung entzieht. In der Praxis gibt es dafür immer wieder absurde und falsche Begründungen. Eichstätt ist aufgrund von Willkür und inakzeptabler Haftbedingungen bereits mehrfach in Kritik geraten. Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter moniert unzureichende Freigangs- und Freizeitmöglichkeiten, Demütigung durch Entkleidungen, Kameras im WC-Bereich und den Zwang Anstaltskleidung zu tragen. Anwältinnen und Anwälte klagen über mangelnde Kooperation des Personals und Rechtsbrüche zu Lasten ihrer Mandantinnen und Mandanten. Auch Schwangere werden eingesperrt, Kinder von ihren Familien getrennt und in gesonderte Obhut gebracht.
Es kam bereits zu Hungerstreiks, Selbstverletzungen und gewaltvollen Auseinandersetzungen. Diese sind Ausdruck der Verzweiflung, unter der die Gefangenen leiden. Ihre Zukunft ist völlig unsicher – sie wissen nicht, wann sie abgeschoben werden, ob sie vielleicht doch noch bleiben können und vor allem, was sie im Herkunftsland erwartet. Wer sich in dieser unerträglichen Situation widerständig zeigt und sich auflehnt wird in Isolationszellen zum Schweigen gebracht. Vier zusätzliche, solcher komplett schalldichten Zellen sollen in Eichstätt errichtet werden. Isolationshaft wird oft als „weiße Folter“ bezeichnet. Ein Ausbau dieses Systems in einer Abschiebehaftanstalt, in der Willkür herrscht, weil es in Bayern kein Abschiebehaftvollzugsgesetz gibt, d.h. es gibt keine gesetzliche Regelung über die Bedingungen der Abschiebehaft, verheißt das Schlimmste für die Menschen, die in Eichstätt gefangen gehalten werden.
Zeigen wir den Inhaftierten, dass sie nicht alleine sind und wir die Zustände in der Abschiebehaftanstalt Eichstätt nicht hinnehmen werden!
100 Jahre Abschiebehaft – und keinen Tag länger!!
Wir, die wir uns hier versammelt haben, haben Glück hier draußen stehen zu können. Dieses Glück verpflichtet daher umso mehr und zwar nicht nur dazu, den Stein anzustoßen sondern eine Lawine in Bewegung zu setzen, damit die Verhältnisse nicht noch einen verdammten Tag länger bleiben wie sie sind!

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